Das Mädchen und die Herzogin
genommen hatte, kämpfte sich ein schwerer Zweispänner, der mit einer Planebedeckt war, die enge und steile Gasse herauf. Als er ihr Versteck passierte, sprang Marie mit klopfendem Herzen neben das Heck. Der Wagen fuhr so langsam, dass sie leicht Schritt halten konnte, während ihre Linke den Heckpfosten ergriff. Wenn sie jetzt nur niemand beobachtete! Ängstlich sah sie sich um, dann schwang sie sich unter der vorhängenden Plane auf die Ladefläche und kletterte hinein. Ihr blieb wenig Zeit, sich zu verstecken, und so quetsche sie sich hinter zwei Fässer, aus denen es gottserbärmlich nach Fisch stank. Der Wagen hielt, und sie hörte die Stimme des älteren Wächters.
«Ihr seid spät dran heute. Die Köche werden fluchen.»
Marie stockte der Herzschlag, als Licht auf die Ladefläche fiel. Herr im Himmel, offensichtlich kontrollierten sie nun die Ladung und würden sie gleich entdecken.
«Bah, das stinkt ja wie ein vollgepisster Nachthafen.»
Die Plane fiel wieder herunter, und Marie atmete auf, soweit das bei diesem Gestank möglich war. Sie hörte das Rasseln der Zugbrücke, dann ruckte der Wagen an. Sie hatte es geschafft! Und wenn sie erst im Innern der Festung war, würde keine Menschenseele sie mehr zurückhalten können. Sie tastete nach dem roten Stein um ihren Hals und flüsterte: «Bring mir Glück!»
Kurz darauf hörte sie den Kutscher rufen: «Zu-rück!» Der Wagen fuhr ein Stück rückwärts, dann blieb er stehen, und die Plane wurde hochgeschlagen. Zwei Männer begannen mit dem Entladen. Als ihre Stimmen sich zwischendurch entfernten, wagte sie, einen Blick hinauszuwerfen. Vor ihr ging es eine Schräge hinab in ein geöffnetes Kellertor, daneben war ein Holzschuppen an die Schlossmauer gebaut. Hinter dem würde sie sich verstecken, bis sie unbemerkt in den Keller schlüpfen konnte.
Als die beiden mit zwei schweren Säcken im Dunkel desKellers verschwunden waren, packte sie die Gelegenheit beim Schopf. Sie kletterte hinaus und rannte los.
«Halt! Stehengeblieben!»
Sie fuhr herum. Nur wenige Schritte vor ihr stand ein mit einer Lanze bewehrter Mann, der sie verblüfft anstarrte. Wie hatte sie nur so dumm sein können! Zu glauben, in einem herzoglichen Schloss würden unbewacht Waren angeliefert! Sie warf einen raschen Blick auf das Kellertor, von den beiden Männern dort unten war nichts zu sehen. Das war ihre letzte Möglichkeit. Sie raffte ihren Rock, stürzte die Schräge hinunter – und stolperte geradewegs in die Arme eines der Männer.
«Haltet sie fest!», brüllte der Bewehrte. Sie riss sich los, lief weiter hinein in das Halbdunkel des Gewölbes, bis ihr der andere den Weg verstellte, ein junger Bauernbursche, dem sie auf die nackten Zehe trat, dass er aufschrie, dann war schon der Wachmann bei ihr und hielt sie umklammert. Noch immer wehrte sie sich, hieb um sich wie eine Tollwütige, kratzte und biss ihren Häscher, dann stand der dritte Mann vor ihr und schlug ihr ins Gesicht, bis ihre Lippe aufplatzte und ihre Kräfte schließlich erlahmten.
«Jesses, Maria und Joseph! Wirst du wohl aufhören», fluchte der Wachmann.
«Ich will zu meinem Sohn!»
Wieder begann sie zu zappeln, wieder traf sie ein heftiger Schlag, diesmal an der Augenbraue. Blut lief ihr über die Schläfe. Vor Schmerz und Wut begann sie zu schluchzen.
«Bringt mich zum Burgvogt. Bitte! Mein Sohn ist hier, Heinrich, der jüngste Sohn des Herzogs. Ich bin seine Mutter, ich muss zu ihm.»
Der Wachmann lachte böse.
«Will nicht wissen, wie viel Bälger unser Herzog schon indie Welt gesetzt hat. Wenn da jede Mutter ankäme, hätten wir hier bald ein Frauenhaus! Und jetzt fort mit dir.»
Er packte sie mit einer Hand bei den Haaren, dass sie aufschrie, mit der andern drehte er ihr den Arm auf den Rücken und zerrte sie hinaus, quer über den Hof. Sie stolperte, schlug sich auf den Pflastersteinen die Knie blutig, schrie und heulte, wurde erneut geschlagen, dann, halb ohnmächtig schon, gab sie endlich auf. Als sie wieder zu Sinnen kam, fand sie sich vor dem unteren Burgtor wieder, über sich das besorgte Gesicht des alten Torwärters.
«Mein Gott, wie kann man ein junges Mädchen nur so zurichten! Kannst du aufstehen?»
Marie nickte. Doch als sie sich am Arm des Mannes halb erhoben hatte, sackten die Beine unter ihr weg, als gehörten sie nicht zu ihr. «Du brauchst Hilfe», hörte sie ihn sagen. «Ich bring dich zu meiner Schwester, die wohnt hier gleich um die Ecke.»
30
Sabina starrte auf die
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