Das Mädchen und die Herzogin
fürchte, es ist noch ärger als unsere Entdeckung.Ulrich widersetzt sich allen Schlichtungsversuchen. Wie du weißt, ist er vor dem Reichsgericht nicht erschienen. Stattdessen rüstet er weiter unter den Eidgenossen und Franzosen. Es geht sogar das Gerücht, er habe zwölf Büchsenschützen bestellt, um deinen Bruder hinterrücks erschießen zu lassen!»
«Dann werdet ihr jetzt einmarschieren?»
«Nein, das ist es ja. Wir dürfen nur bis an die Landesgrenze vorrücken. Ich habe gestern erfahren, dass der Kaiser ihm eine zweite Frist gesetzt hat. Er fordert ihn auf, die Regierungsgeschäfte für sechs Jahre niederzulegen und in einem ihm zugewiesenen Exil zu leben, wo er im Dienste des Kaisers stünde, natürlich mit angemessener Apanage für ihn und für dich.»
«Für mich?» Sabina sah ihn verständnislos an.
«Ja. Du sollst mit ihm gehen. Die Kinder seien in Wirtemberg zu belassen, du allerdings dürftest sie nach Belieben besuchen kommen. Würde sich Ulrich in diesen sechs Jahren wohlgefällig verhalten und mit dir weiter zusammenleben, dann dürfe er sein Land wieder übernehmen.»
«Das ist nicht wahr!» Sie war fassungslos. «Wie kann mein eigener Oheim hinter meinem Rücken so etwas anbieten?»
Dietrich streichelte ihre Hand. «Ich fürchte, unser Kaiser ist ein alter Mann geworden. Er scheint allen Stolz und Wagemut verloren zu haben. Und seine Autorität obendrein. Jetzt können wir nur beten, dass Ulrich auch dieses Angebot ablehnt und wir endlich einmarschieren dürfen.»
Sabina schloss die Augen. Und wenn nicht? Wenn er sich dem Willen des Kaisers nun fügte? Ulrich stand mit dem Rücken zur Wand, einem Angriff der mächtigen Baiern konnte er nichts entgegensetzen. Allmächtiger Gott, sie hatte gehofft, Ulrich nie wiederzusehen. Eher würde sie sich das Leben nehmen als wieder an der Seite dieses Mannes leben.
Sie barg ihr Gesicht an Dietrichs Schulter und wünschte, die Zeit möge stillstehen.
Seit Michaelis hatte Marie den Herzog nicht mehr gesehen, und nun ging der Oktober bereits in die zweite Woche. Nicht, dass das ungewöhnlich gewesen wäre – seit längerem schon hatte Ulrich offenbar die Lust an den nächtlichen Zusammenkünften mit ihr verloren – seitdem sie Mutter war. Und hierüber war sie mehr als erleichtert. So hatte sie also ihr Ziel erreicht, als sie sich damals erfolgreich geweigert hatte, ihren Sohn der Amme zu überlassen – auch wenn er nun tatsächlich auf den Namen Heinrich getauft war. Für sich hingegen nannte sie ihn immer nur Veith, als deutsche Form von Vitus.
Dennoch beschlich Marie in diesen Tagen ein Gefühl der Unruhe. Irgendetwas schien in der Luft zu liegen. Es kostete sie viel Mühe, aus der mürrischen Rosina etwas herauszubringen. Nach und nach erfuhr sie, dass der Kaiser vom Herzog verlangte, für sechs Jahre außer Landes zu gehen, Ulrich sich aber weigere. Stattdessen reiste er nun durch seine Ämter, um alle Untertanen im mannbaren Alter zu befragen, ob sie künftig von fremder Hand regiert werden wollten oder treu zu ihrem Herzog stünden.
«Ich mache jede Wette», hatte Rosina gebrummt, «dass diese Schafsköpfe sich allesamt für unsern roten Teufel aussprechen. Der Landtag hat es ja schon getan.»
Marie hatte sich nicht wenig gewundert über diese offenherzige Bemerkung, hatte sie doch Rosina für eine treu ergebene Dienerin des Herzogs gehalten. Viel mehr beschäftigte sie allerdings die Frage, ob es denn tatsächlich zu einem Krieg kommen würde, wie Rosina prophezeit hatte. Der Herzog war ihr gleich, aber was würde aus ihr und dem Kleinen?
Eines Morgens dann, sie wartete gerade darauf, dass ihr dieKindsmagd ihren Sohn bringen würde, hörte sie von draußen großes Getöse: Männer brüllten durcheinander, Peitschen knallten, Pferde wieherten und trabten mit schweren Hufen über das Kopfsteinpflaster. Es klang, als wäre ein ganzes kaiserliches Heer im Aufmarsch. Sie mochte sich noch so sehr aus der Dachluke lehnen – was draußen vor dem Burgschloss vor sich ging, konnte sie nicht erkennen.
Ruhelos ging sie in ihrer Kammer auf und ab. Als es draußen stiller wurde und Veith immer noch nicht bei ihr war, läutete sie nach Rosina. Nichts. Das ganze Dachgeschoss schien wie ausgestorben. Schließlich rüttelte sie an der Tür, die irgendwann aufsprang. Sie war gar nicht verriegelt gewesen! Was hatte das zu bedeuten?
Verunsichert schlich sie hinaus in den dunklen Gang. Keine Wächter, keine Rosina waren zu sehen. Plötzlich überfiel
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