Das Mädchen und die Herzogin
schlammbraunen Fluten der Isar. Die Schneeschmelze hatte den Fluss bedrohlich anschwellen lassen, an seinem Oberlauf hatte er schon etliche Hütten und Scheunen mit sich gerissen.
Fröstelnd zog sie den Umhang fester um ihre Schultern. Der Kelch der zwangsweisen Versöhnung mit Ulrich war noch einmal an ihr vorübergegangen. Doch zu welch hohem Preis!
Wenn der Kaiser gedacht hatte, er könne mit seinem Angebot seinen einstigen Schützling zur Vernunft bringen, sohatte er sich mehr als getäuscht. Ärger denn je trieb es Ulrich in seinem Land. Kaum war die Reichsacht gegen ihn zurückgenommen, hatte er etliche seiner altgedienten Landesdiener festnehmen und auf den Hohenasperg bringen lassen, darunter Männer, deren Namen Sabina wohl vertraut waren: So den Tübinger Vogt Konrad Breuning, dessen Bruder Sebastian Breuning, den Stuttgarter Bürgermeister, ja sogar Reuchlins Schwager, den achtzigjährigen Cannstatter Vogt Konrad Vautt. Andere, wie Ulrichs Canzler Lamparter oder Ursulas Vater Thumb von Neuburg, hatten eben noch rechtzeitig fliehen können.
All das hatte sich Ulrich erdreistet unter dem lächerlichen Vorwand, es sei eine Verschwörung zwischen Kaiser und Landschaft gegen ihn im Gange. Doch bei den Verhaftungen war es nicht geblieben: Eine Woge des Entsetzens rollte durch das Reich, als bekannt wurde, dass Konrad Breuning, ein Greis von über siebzig Jahren, in seiner Haft erbarmungslos gefoltert und gepeinigt wurde. Und dann, mitten in der Adventszeit, am Sonntag nach Marias Empfängnis, hatten Ulrich und sein neuer Canzler Ambrosius Volland auf dem Stuttgarter Marktplatz ein grauenvolles Exempel statuiert: Vor aller Augen wurden Sebastian Breuning enthauptet und Konrad Vautt gevierteilt!
Und was tat der Kaiser? Nichts! Eine lahme Protestnote war alles, was der Alte in Wien zustande gebracht hatte, derweil Ulrich in aller Ruhe, nachdem die Spitzen des Landes eliminiert waren, ein neues Regiment einsetzte, mit treu ergebenen Speichelleckern. Zudem begann er mit den Bauern zu paktieren, die offenbar vergessen hatten, wie der Herzog unter ihnen gewütet hatte, und sich mit Hurrageschrei auf seine Seite stellten. Keiner schien diesem Teufel mehr Einhalt zu gebieten.
Sabina stieß aufgebracht mit dem Fuß gegen einen Kieselstein. Was sollte denn noch alles geschehen? Erst vergangene Woche hatte Ulrich Rache an seinem bittersten Feind genommen: Er hatte Dietrichs Burgen und Güter verwüsten und brandschatzen lassen, auch das Stammschloss samt Zwiefaltendorf. In letzter Minute hatte Dietrich seine wertvollste Habe von dort weggeholt. Sabina saß der Schreck noch immer in den Gliedern. Gestern erst hatte sie von diesem Rachefeldzug erfahren, in einem Brief, in dem Dietrich aufs Neue seine Liebe zu ihr beschworen hatte. So erleichtert sie war, dass Dietrich kein Leid geschehen war, so sicher wusste sie plötzlich auch: Ihre Liebe hatte keine Zukunft. Denn mehr noch als um Dietrich ängstigte sie sich um ihre Kinder, die Ulrich nach wie vor in seiner unberechenbaren Gewalt hielt. Inzwischen war sie zu allem bereit, was ihr half, zu ihren Kindern zu kommen. Selbst wenn sie dafür Dietrich aufgeben musste.
Mit Tränen in den Augen ließ sie sich auf einen Felsbrocken sinken. Es war alles so aussichtslos! Wie hatte sie glauben können, dass sich nach ihrer Flucht alles zum Guten wenden würde? Einfältige Traumgespinste waren das gewesen, ihr Leben glich einem Scherbenhaufen.
Aus der Stadt kam ein Reiter auf sie zugeprescht. Sofort war ihr Leibwächter, der keine fünf Schritt weit vor sich hingedöst hatte, auf den Beinen und zog sein Schwert. Es war indessen nur einer der Edelknaben, die im Alten Hof Dienst taten.
«Verzeiht die Störung, Euer Fürstlich Gnaden. Ich soll Euch ausrichten, dass der treueste Eurer Diener gekommen ist. Er warte auf Euch in der Stadt, an einem Ort, der Euch wohlbekannt sei.»
Dietrich! Augenblicklich schwang sich Sabina auf ihr Pferdund befahl ihrem Trabanten: «Begleitet mich vor das Schwabinger Tor. Dort lasst mich allein.»
Als sie sich zu Fuß dem Jägerhaus näherte, wurde ihr Schritt verhalten. Hier hatten sie sich das letzte Mal gesehen und sich heimlich, auf einer Strohschütte im Stall, geliebt.
Dietrich wartete im Schatten eines Baumes. Er deutete auf das niedrige Fachwerkhaus. «Die Jagdknechte sind da drinnen. Lass uns eine Stück durch die Wiesen gehen.»
Kaum waren sie außer Sichtweite, zog er sie in seine Arme. Er roch nach Wind und Regen.
«Ich bin so froh,
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