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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Lattenzaun der Dorfwiese, die nach der gestrigen Heimsuchung mehr einem verwilderten Acker glich als einer Viehweide, drängten sich neugierig die Kinder. Marie musste mitten hindurch, ob sie wollte oder nicht. Da hielt ihre Schwester sie am Arm fest.
    «–   und so hättest du, Utz Schechtelin, niemals auf eigene Faust, ohne Beratung der Gemeinde, losziehen dürfen. Nochmals eine solche Eigenmächtigkeit, und ich werde das Gericht einberufen müssen.» Der Schultes sah zum alten Wonnhardt, der bestätigend nickte. Der arme Utz. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, wie er dastand mit eingezogenen Schultern und gesenktem Kopf. Einer der kräftigsten Männer im Flecken stand da wie das arme Sünderlein.
    «Ich hab’s doch gewusst», hörte Marie ihren Vetter Lenz neben sich flüstern. «Der Vogt hat sich erst verleugnen lassen, und als der Vater nicht gehen wollte, hat er ihm seine Jagdhunde auf die Fersen gehetzt.»
    «Hast du noch was zu sagen, Utz Schechtelin?»
    Utz schüttelte den Kopf.
    «Gut. Dann schlage ich vor, du und deine Söhne, ihr richtet die Schäden am Gatter der Dorfweide. Das Zaunholz lasst euch heute noch vom Müller geben. Die Auslagen für die Häcklerin begleichen wir aus der Gemeindekasse, undmorgen früh treffen sich alle Männer und Frauen am Schechtelin’schen Acker. Vielleicht ist ja noch was zu retten von der Aussaat. Hat einer was einzuwenden? Der hebe die Hand.»
    Keiner rührte sich.
    «Dann lasst uns bei der Gelegenheit gleich die neuen Hirten- und Schützendienste vergeben. Beginnen wir mit der Jagdfron: Unser Dorf ist dran mit der Aufzucht der herzoglichen Jagdhundmeute! Nächste Woche werden die ersten Tiere eintreffen.»
    Die Männer murrten und zogen ihre Filzhüte tiefer ins Gesicht, gegen den ewigen Nieselregen dieses Frühjahrs, der eben wieder eingesetzt hatte. Marie wollte eilig weitergehen, da trat der Lange Gilgen in den Kreis, der älteste Sohn vom Schladererhans.
    «Einen Augenblick, Männer.»
    Erwartungsvoll sahen die Dörfler den hochgewachsenen, schwarzbärtigen Burschen an, und auch Marie blieb unwillkürlich stehen. Jeder wusste: Gilgen nahm kein Blatt vor den Mund, wenn er etwas zu sagen hatte, auch nicht vor dem Schultes, und er vermochte besser zu reden als ihr Dorfpfarrer. Seine Familie besaß gleich nach den Wonnhardts die meisten Gespann- und Weidetiere im Dorf, doch ihr Ansehen war noch ungleich größer. Bei den Schladerers, hieß es, aß man sonntags aus Silberschalen. Hinzu kam, dass sie vier starke, wohlgeratene Söhne hatten, während die Wonnhardtin nur Mädchen zustande gebracht hatte.
    Doch so schlau der Lange Gilgen war, so aufbrausend und tollköpfig konnte er auch werden. Der Forstknecht, der seit letztem Herbst hier seinen Dienst versah und am Dorfrand ein nagelneues Häuschen bezogen hatte, stellte sich dicht neben den Schultes, als wolle er dort Schutz suchen. Dieser runzelte die Stirn.
    «Was gibt’s denn noch?»
    «Ich denke, der Utz hat recht getan mit seinem Marsch zum Vogt.» Utz Schechtelin sah erstaunt auf, und Gilgen nickte ihm anerkennend zu. «Wir sollten uns nicht alles gefallen lassen. Merkt ihr denn nicht, wie uns vom alten Brauch und Herkommen mehr und mehr genommen wird? Was bleibt uns denn noch von der Wald- und Weidenutzung? Stattdessen legt man uns immer mehr Fronen auf, beim Holzhauen, bei der Jagd, bei den Fuhrdiensten, beim Wegebau. Seit dem Herbst müssen wir nicht nur das Kloster in Bebenhausen mit Holz versorgen, sondern auch noch die neuen Forsthäuser – und das nicht aus den landesherrlichen Wäldern, sondern aus dem Forst, der seit alter Zeit dem Dorf gehört, aus unserer Allmende.»
    Gilgen sah dabei den Forstknecht aus seinen dunklen Augen lauernd an.
    «Genau! Eine Erzfrechheit!» Die jüngeren unter den Männern nickten zustimmend.
    «Was hat man uns alles genommen in den letzten Jahren! Ich will es euch aufzählen, und dann, Schultes, sagt mir selbst, ob irgendwas daran falsch ist.» Er stellte sich in Positur wie ein Feldherr. «Nicht mal mehr in unserem eigenen Gemeindewald dürfen wir nach Belieben Holz schlagen oder Reisig sammeln, sondern müssen dem Forstmeister eine Wuchergebühr berappen, als wäre es der herzogliche Wald. Das Dreisteste indessen: Jeder von uns zahlt einen Schilling Heller und ein Simri Hafer aufs Jahr, ob er Holz holt oder nicht. Und was geschieht, wenn einer nicht zahlen kann? Sag’s uns, Utz.»
    «Der wandert in den Böblinger Turm. Für drei Tage und drei Nächte.» Utz ballte

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