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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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allein abgraben. Komm, geh ein bisschen raus, an die frische Luft.»
    Irmel nickte und ging vor die Tür. Im nächsten Moment hörte Marie das Jagdhorn und fast gleichzeitig einen gellenden Schrei. Sie warf den Spaten hin und rannte hinaus, sah eine Horde Reiter mit ihren Hunden die Zäune durchbrechen und über den nahen Dorfanger preschen, vorneweg ein großer dunkler Schatten, wieder das Jagdhorn, nun als letzte und längst vergebliche Warnung, während rundum Ziegen und Kühe auseinandersprengten; Holz splitterte, Hühner flatterten auf, eines klatschte Marie mitten ins Gesicht, von allen Seiten rannten schreiende Bauern herbei, die Arme wie zur Abwehr in die Luft gereckt, mittendrin auch ihre beiden Vettern, alles bewegte sich auf Schechtelins Feld zu, das Wildschwein, die Hunde, die Reiter, auf Schechtelins frischbestellten Acker, wo sich Utz mit einem Sprung zur Seite rettete und Berthe gleich Lots Weib zur Salzsäule erstarrte. Ein letzter markerschütternder Schrei, dann war der Spuk vorüber.
    Marie lief ihrer heulenden Base hinterher über die zertrampelten Ackerfurchen. Am Ende des Felds lag ihre Tante zusammengekrümmt auf der Seite. Sie hatte die Augen geschlossen und ihr geflickter Kittel färbte sich an Schulter und Hüfte dunkel.
    «So helft mir doch!», brüllte Utz die Umstehenden an. Zu viert schleppten sie die Bewusstlose durch das Dorf zur Häcklerin, Marie mit der immer noch schluchzenden Irmel hinterdrein. Die alte Witwe, eine breitschultrige, aufrechte Frau, stand schon vor der Tür und wies Utz an, seine Frau auf die Strohschütte vor der Hauswand zu legen. Dann scheuchte sie die Männer zur Seite, um Berthe zu untersuchen.
    «Ist sie tot?», flüsterte Irmel. Marie griff nach der Hand ihrer Base. Sie war eiskalt.
    «Nein. Ich brauche kochend Wasser, und zwar ausreichend.»
    Ein Großteil der Dörfler hatte sich bereits aus dem Staub gemacht, um das Vieh einzufangen oder die Schäden an Äckern und Wegen zu begutachten – jetzt begann sich auch der Rest feige zurückzuziehen. Keiner wollte sein kostbares Brennholz verschwenden, sofern er überhaupt noch welches besaß. Nur der Schultes verharrte, in der Pflicht seines Amtes, wenn auch deutlich wider Willen.
    Die Häcklerin sah ihn auffordernd an: «Du hast hier das Sagen. Geh du zur Wonnhardtin, die hat immer heißes Wasser auf dem Herd. Ich bitte dich in Gottes Namen.»
    Der letzte Satz wäre nicht nötig gewesen, denn die heilkundige Frau besaß eine unausgesprochene Macht hier im Dorf. Schließlich hatte sie schon mehr als einem das Leben gerettet.
    Irmel ließ sich zu Boden sinken und strich ihrer Mutter über das schmutzige Gesicht. Da öffnete Berthe die Augen.
    «Ich sterbe, ich sterbe», wimmerte sie, und Irmel unterdrückte einen Schrei.
    «So helft ihr doch, Gevatterin. Ihr seht doch, dass sie stirbt. Meine arme Mutter!»
    «Ach was. Eine von ihrem Schlag stirbt nicht so schnell.»
    Marie war derselben Ansicht, denn ihre Muhme begann bereits leise vor sich hin zu fluchen, auf diesen Sauherzog Ulrichund seine ganze verdammte Schelmenbande. Sie verstand ohnehin nicht, warum Irmel sich plötzlich so herzzerreißend um ihre Mutter sorgte. Hatte sie denn vergessen, dass die Alte sie beide grün und blau geschlagen hatte, als sie damals aus Stuttgart heimgekehrt waren? Irmel hatte zwei volle Tage nicht mehr sitzen können, und sie selbst trug immer noch eine Narbe an der Stirn, von jenem heftigen letzten Schlag, der sie gegen den Türbalken geschleudert hatte. Damals hatte sie zum ersten Mal ernsthaft mit dem Gedanken an Flucht gespielt, in ihr Heimatdorf Beutelsbach, heim zu Vitus. Hatte Irmel davon erzählt, und die war in heilloses Schluchzen ausgebrochen. «Du darfst mich nicht allein lassen», hatte sie wieder und wieder gestammelt, bis Marie ihr bei der heiligen Mutter Maria und dem Jesuskind schwor, nie wieder an so etwas zu denken. Sich selbst aber hatte sie geschworen, keinen Tag länger als bis zu ihrem sechzehnten Jahr bei dieser bösen Hexe Berthe Schechtelin zu bleiben.
    Wieder stöhnte Irmel auf und hielt sich den Bauch.
    Prüfend sah die Häcklerin sie an: «Dir geht es auch nicht gut. Am besten kommst du heute Abend bei mir vorbei, wenn ich mit deiner Mutter fertig bin.»
    Als sie an diesem Abend zu Bett gingen, sprach keiner ein Wort. Berthe hatten sie bei der Heilerin gelassen, zumindest für die erste Nacht, morgen würde man weitersehen. Marie hörte ihren Oheim ein Gebet ums andere murmeln, ihre Vettern gaben vor zu

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