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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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maulten vor sich hin, dann rückte einer nach dem andern von Gilgen ab.
    «Außerdem: Seid ihr so dumm, oder tut ihr nur so? Diese Gesetze gelten überall im Land, nicht nur bei uns. Und überall wurden neue Forstknechte eingesetzt, nicht nur hier. Wenn wir also etwas drehen können, dann nicht als kleine Hinzen und Kunzen, sondern nur über die Landschaft in Stuttgart. Lasst uns darüber bei der nächsten Gemeindeversammlung entscheiden. Und nun geht nach Hause.»
    «O ja, ihr Memmen, geht nur alle nach Hause.» Jetzt stampfte Gilgen tatsächlich auf und spuckte verächtlich zu Boden, vor ihrem Schultes, vor dem Oberhaupt ihres Dorfes! Marie hielt den Atem an – alle hielten den Atem an.
    «Dann lasst euch doch von eurem Schultes ins Bockshorn jagen, ihr Waschweiber. Faselt was von der Landschaft – als ob bei den Deputierten der Städte und Ämter ein einziger Bauer, ein einziger Landmann vertreten wäre. Ihr habt gut reden, Schultes, gehört Ihr doch selbst schon zur bürgerlichen Ehrbarkeit, Ihr seid doch befreit von den meisten Fronen und Abgaben und werdet immer reicher!»
    Das Gesicht des Schultes lief dunkelrot an, doch der Lange Gilgen war nicht zu halten. «Seid Ihr nicht mit dem Böblinger Vogt versippt und verschwägert? Hat der Euch nicht deshalb beim Dorfgericht zum Schultes vorgeschlagen? Es gibt nur eins, wofür wir kämpfen müssen: für eine Gleichstellung von Ehrbarkeit und gemeinem Mann!»
    Da brüllte der Schultes: «Schluss jetzt!!! Sonst lass ich euch alle einsperren!» Im selben Moment entdeckte Marie in der Dämmerung einen Schatten, der sich hinter der Kirche in Richtung Dorfausgang bewegte. Irmel! Sie rannte los.
    «Irmel! So warte doch.»
    Bei der Zehntscheuer holte sie die Base ein. Deren sonst so rosiges Gesicht war wachsbleich.
    «Wo wolltest du hin?»
    Irmel zuckte die Schultern.
    «Ist Mutter schon zu Hause?» Ihre Stimme klang fremd.
    «Dein Vater geht sie nachher holen. Es sind alle bei der Linde. Das ganze Dorf ist in Aufruhr wegen dieser Sache gestern. Geht es dir besser?»
    Irmel antwortete nicht.
    «Bitte, Irmel, du bist doch meine einzige Freundin. Sag mir, was die Häcklerin mit dir gemacht hat – dieses Blut, dieses ganze Blut vorher   –» Marie stockte und sah auf Irmels Kittel. Doch es war nichts Verräterisches mehr zu sehen.
    Irmel nahm sie bei der Hand. «Gehen wir nach Hause. Und bete mit mir, dass nun alles vorbei ist.»
     
    Am nächsten Morgen fand man den Forstknecht halb zu Tode geprügelt vor seiner Haustür. Und keiner im Dorf wollte etwas gesehen oder gehört haben.

6
    Sabina starrte hinaus in das endlose Grau. Seit Anfang März, seit ihrem Hochzeitsfest, hatte sich die Sonne nicht mehr am Himmel gezeigt, hatten Nieselregen und Frühjahrsstürme einander abgewechselt. Von der angeblich so liebreizenden Landschaft in Neckarschwaben hatte sie, bis auf den Weg von Heidelberg hierher, noch nichts zu sehen bekommen. Und dann ihre neue Heimatstadt! Wie klein und schäbig und glanzlos sich dieses Stuttgart präsentierte! Hatte sie die Vorstadt rund ums Dominikanerkloster als eine einzige lärmende, staubige, für jeden Passanten lebensgefährliche Baustelle kennengelernt, so waren die restlichen Viertel auch nicht besser: Die Plätze ähnelten buckligen Dorfangern, die engen und krummen Gassen mündeten in Kellerhälse oder Treppen und führten einen als Sackgassen in die Irre, dazu stanken Misthäufen, Unrat und Abortgruben mit Bach und See um die Wette, vor allem in der Handwerkervorstadt um St.   Leonhard. Kaum erfreulicher präsentierte sich das Innere der Stadt rund um das Burgschloss: Nur wenige Straßen waren gepflastert, nur an wenigen Stellen erhellten Feuerpfannen die Nacht.
    So erstaunte es Sabina nicht, dass man nicht einmal desSonntags Bürgersleut auf der Straße beim Flanieren sah, denn selbst an diesen Tagen drängten sich in den Gassen die Kühe, Schweine und Geißen, die die Viehhirten zum Austrieb in den Wald sammelten, hallten die Häuserwände wider von deren Geblöke und Gegrunze. Auch im Burgschloss wimmelte es von Federvieh und Schafen, stank es nach deren Exkrementen, vor allem vom Graben her, der die Burg umgab. War das in München auch so gewesen? An manchen Tagen erschien ihr dieses Stuttgart wie ein einziger großer, stinkender Bauernhof. Oder auch wie ein Kehrwieder, wie die Leute hier sagten, eine Sackgasse am Ende der Welt, mit seiner wenig tauglichen Lage in der sumpfigen Niederung des Nesenbachs, zwischen den steilen Bergen

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