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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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rundum. Um wie viel lieber hätte sie im benachbarten Cannstadt gewohnt, in diesem hübschen, luftigen Städtchen über dem Neckarstrom, das für die Belange einer Residenz so viel ansprechender und günstiger lag! Stuttgart, so hatte sie sogar Doctor Reuchlin sagen hören, würde sich niemals recht entwickeln können in seinem engen Tal und mit dem schlechten Wasser. Im Grunde war diese Residenz doch nichts als das Überbleibsel einer riesigen Pferdeweide, die sie einstmals tatsächlich war, eines Stutengartens eben, mit einer düsteren alten Wasserburg aus längst vergangenen Zeiten, die die Bezeichnung Schloss nicht verdiente.
    Von den beiden Erkern abgesehen, zeigte sich der wuchtige Bau schmucklos und trist und noch weniger stattlich als ihre Alte Veste in München. Dafür umso trutziger mit dem tiefen Graben und seinem gedeckten Wehrgang, der auf halber Höhe rund um die Burganlage mit seinen Wirtschaftsgebäuden führte. Die beiden ersten Geschosse waren aus grobem Naturstein gebaut, wobei das untere nahezu auf der gesamten Fläche vom Dürnitzsaal ausgefüllt war, während sich darüberdie Ritterstube und die Gemächer der Gäste und des Herzogs befanden. Letztere waren, mit Vorgemach, Stube, Schlafkammer und der weithin berühmten Glas- und Silberkammer, ungleich großzügiger angelegt als die Wohnstätte seiner Gemahlin, die mit den übrigen Räumen des Frauenzimmers im obersten Fachwerkgeschoss untergebracht waren. Über allem schließlich wölbte sich ein riesiges Walmdach mit Trockenböden und der herzoglichen Kunstkammer.
    Verließ man Burgschloss und Innenhof über die Zugbrücke, gelangte man auf den äußeren Vorhof der Burganlage. Einstmals sicherlich ein hübscher, umfriedeter Platz, bröckelten nun die Mauern vor sich hin oder waren von schäbigen Häusern verdeckt – selbst am Chor der Stiftskirche klebten welche!   –, die allesamt abgerissen gehört hätten. Dieser Vorhof diente Herzog Ulrich, seitdem man den Turnieracker vor der Stadt bebaut hatte, als Turnierplatz, und etliche hohe Gäste aus dem ganzen Reich hatten hier schon den zahlreichen Ritterspielen beigewohnt. Was sie wohl gedacht haben mochten bei diesem armseligen Anblick? Sabina schüttelte den Kopf. Anstatt Tausende und Abertausende Goldgulden für seine Vergnügungen zu verprassen, hätte Ulrich sich lieber um die Baulichkeiten seiner Stadt und seiner Residenz kümmern sollen – an etlichen Gebäuden war bald gar nichts mehr zu retten, und die Baustellen rund ums Kloster kamen auch nicht recht voran.
    Vom Gang her hörte Sabina die Dienstmägde schnattern und schwatzen, in der ihnen eigenen, singsangartigen Mundart. Überhaupt diese Schwaben – mit ihnen wurde sie auch nicht recht warm. Gewiss ein braver und tüchtiger Menschenschlag, denen das Alte, das Hergebrachte von höchstem Wert war, doch die, auf die sie bisher getroffen war, hatten sich entweder abweisend und grantlig oder auf anbiedernde Weisegeschwätzig gezeigt – immer aber irgendwie unscheinbar wie ihre Stadt selbst, so ohne Neugier, ohne Feuer und Widerworte und sich selbst genügend wie eingesperrte Hühner.
    Sie wandte den Blick vom Fenster. Morgen früh würde sie bei der Hofschneiderei Vorhänge für die Fenster in Auftrag geben. In München hatte man das längst.
    Es klopfte gegen die Tür. Eines der Kammerfräulein steckte den Kopf herein.
    «Möchten Euer Fürstlich Gnaden in der großen Tafelstube speisen oder hier herinnen in Eurem Stüble?»
    «Im Stüble», äffte Sabina den schwäbischen Zungenschlag nach, der aus jedem Hans ein Hänsle machte – in ihren Ohren klang das wie das Plappern und Tuscheln kleiner Kinder. «Und zwar allein. Nein – warte. Schick Lioba zum Essen her. In einer Stunde.»
    «Sehr wohl.» Die Jungfer knickste und verschwand.
    Sabina drehte das Stundenglas der Sanduhr um und betrachtete die feine Linie. In einer Stunde würde der weiße Sand aus dem oberen Teil des Glases verschwunden sein. Sie könnte ihren Stuhl vor die Kredenz rücken und jede Stunde das Glas umdrehen, von morgens bis abends, jeden Tag. Würde beobachten können, wie ihre Zeit verrann, ohne dass etwas geschah. Inzwischen war sie sich sicher, dass es Herzog Ulrich nicht einmal auffallen würde, wenn sie ihre Kemenate nicht mehr verließe. Er schlief ohne sie, er nahm seine Mahlzeiten ohne sie ein, in seinem eigenen Gemach, im Rittersaal oder manchmal sogar unten in der Dürnitz. Dort saß er an den Tischen des Gesindes, dessen Gesellschaft ihm

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