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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Wahrscheinlich war ihr mit Irmel die Phantasie durchgegangen.
    «Beschweren!» Lenz zog sich Schulterkragen und Kapuze über den Kopf, während er sich gleichzeitig mit seiner schmutzigen Linken Mus in den Mund schaufelte. «Der Vogt wird ihn auslachen. Und wenn er heimkommt, kriegt er Ärger obendrein, nämlich mit dem Dorfschultes. Weil er ohne Bescheid losgezogen ist. Weil unser Vater hier im Dorf nämlich gar nix zu sagen hat.» Im letzten Satz schwang unverhohlen Verachtung mit.
    Marie fand es nicht verkehrt, dass ihr Oheim auf Gerechtigkeit aus war, doch sie wollte nicht mit ihrem Vetter herumstreiten. Stattdessen sagte sie: «Geh lieber Reisig sammeln, als hier große Reden zu schwingen. Oder wie sollen wir das Wasser sonst warm kriegen?»
    «Du weißt, dass das neuerdings verboten ist.»
    «Und du weißt, dass das deine Aufgabe ist, Verbot hin oder her. Musst es ja nicht grad vor den Füßen des Forstknechts aufheben.»
    Lenz nahm die Rückenkraxe vom Haken. «Ich finde, du führst ein ganz schön großes Maul, wenn unsre Eltern nicht im Haus sind.»
    Marie zuckte die Schultern, dann ging sie ihrer Schwester zur Hand. Später, wenn die Arbeit im Haus erledigt war, würde sie bei der Häcklerin vorbeischauen. Gebe Gott, dass mit Irmel alles in Ordnung war.
    Noch bevor Utz Schechtelin aus Böblingen zurück war, humpelte der Gemeindediener mit seiner Glocke durchs Dorf und rief alle wehrhaften, ehrlichen und haushältlich niedergelassenen Männer zum Abendgeläut vor die Linde. Als sich Marie am Nachmittag auf den Weg zur Häcklerin machte, strömten bereits die ersten Neugierigen zum Versammlungsort. «Jetzt kriegt der Utz was auf die Mütze», hörte sie einen sagen, einen anderen hingegen: «Eine Sauerei ist das – erst eine wehrlose Frau niedertrampeln und dann abhauen.»
    Mit einem halblaut gemurmelten Grüßgott betrat Marie die Stube der Heilerin. Ihre Muhme schlief. Sie lag ausgestreckt auf einer sauberen Decke, nahezu die gesamte linke Seite war bandagiert oder mit Kompressen bedeckt.
    «Kannst dem Utz ausrichten, er soll sie heute Abend holen kommen. Bis auf den Unterarm ist nichts gebrochen, und am Stock kann sie schon wieder laufen.»
    «Ist Irmel nicht bei Euch?»
    «Ich hab sie zum Bach geschickt, Wasser holen.»
    «Bitte, Gevatterin, sagt mir ehrlich: Ist sie krank?»
    «Krank?» Die alte Witwe verzog die blutleeren Lippen. «Sicher nicht. Dafür aber gehörig dumm. Und jetzt halt mich nicht weiter von der Arbeit ab. Geh nach Hause.»
    Doch Marie lief geradewegs zum Waldrand, wo der Bach ein kleines Staubecken bildete, das im Sommer als Badestelle diente. Von ihrer Base keine Spur.
    «Irmel?»
    Sie lauschte. Bis auf das plätschernde Wasser und das nahe Klopfen eines Spechts blieb alles still.
    «Wo bist du, Irmel?»
    Sie folgte dem Bachlauf waldeinwärts. Der Boden war aufgeweicht vom vielen Regen der letzten Wochen und saugte und schmatzte an ihren Holzpantinen. Marie blieb stehen. Der Pfad endete hier im Unterholz, es hatte keinen Sinn weiterzugehen. Außerdem begann sie sich zu fürchten, auch wenn sie das niemals zugegeben hätte. Beinahe tröstlich hallte vom Dorfrand das rhythmische Kling-Klang aus der Schmiede herüber und vermischte sich mit dem Schlag ihres Herzens. Da plötzlich vernahm sie ein Schluchzen, deutlich und ganz in der Nähe.
    «Irmel? Bist du das?»
    Das Schluchzen wurde lauter, und Marie kletterte über eine umgestürzte Eiche.
    «Gütiger Gott im Himmel!»
    Ihre Base hockte breitbeinig, mit gerafftem Rock, über einem Haufen zusammengeknüllter Leinenfetzen, die selbst hier, im düsteren Licht des Waldes, tiefrot und feucht glänzten. Irmels Gesicht war schmerzverzerrt, die Haut rund um die Hasenscharte bläulich verfärbt. Was hatte die Häcklerin mit ihr gemacht?
    «Verschwinde», zischte Irmel. «Und wenn du irgendwem was erzählst, stech ich dich ab!»
    Der schreckliche Anblick wie auch die bösen Worte ließen Marie augenblicklich zurückweichen.
    «Aber – ich will dir doch nur helfen.»
    «Du kannst mir nicht helfen. Hau ab. Bist du taub? Hau endlich ab!»
    Die letzten Worte waren geschrien. Ohne noch einmal zurückzublicken, rannte Marie davon. Ob sie die Augen offen hielt oder schloss – immer sah sie das Blut unter Irmels Leib. Wenn sie nun verblutete?
    Am Anger unter der Linde hatte sich inzwischen das ganze Dorf versammelt – die stimmberechtigten Männer rund um den Schultes, im Hintergrund die Knechte und Gehausten, die Taglöhner und Frauen. Hinter dem

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