Das Mädchen und die Herzogin
vorkam, allein begegneten. Hauptsache, seine Demütigungen fanden ein Ende. Ein Ende fanden zum Glück auch seine nächtlichen Überfälle, zu denen der Rausch ihn oftmals getrieben hatte. Zwar hatte Ulrich nie so ausschweifend der Trunksucht gefrönt wie der Großteil der Männer bei Hofe, doch nun sah man ihn noch seltener mehr als ein Krüglein Wein trinken. Und nicht nur, dass er ihr keine Gewalt mehr antat – künftig war sie sogar bei jedem gesellschaftlichen Ereignis an seiner Seite, wie es sich für eine Fürstin ziemte. Sabina ihrerseits hielt sich fortan an die höfische Etikette und tat keinen Schritt mehr vor die Burg ohne die Gesellschaft ihrer schnatternden Hofdamen oder Jungfern, unternahm keinen Ausritt ohne Diener und gerüstete Bewacher.
Sie hatte nie erfahren, was ihre Mutter und ihr Bruder mit Ulrich gesprochen hatten noch was in dem Schreiben des kaiserlichen Gesandten geschrieben stand. Was allein zählte, war, dass ihre Pein ein Ende hatte und sie des Nachts endlich wieder in tiefen, traumlosen Schlaf fand.
Diese Wendung verdankte sie indessen nicht nur ihrer Familie, sondern auch dem braven Doctor Reuchlin. Nach jener schrecklichen Nacht im Schweinekoben war sie so in Verzweiflung versunken, dass Lioba ihr geraten hatte, sich dem Hofkaplan anzuvertrauen. Doch Sabina konnte diesen bigottischen Menschen nicht ausstehen, fasste sich stattdessen ein Herz und bat Johannes Reuchlin zu sich ins herzogliche Frauenzimmer. Der Doctor, das wusste sie, hatte ein offenes Ohr für jedermann, nicht nur für Fürsten und Gelehrte: Ob es den Bürgern um philosophische Fragen, um Holz- oder Wegerecht oder gar um so unfeinen Kram wie Abtritte und Abortgruben ging – sein Haus neben der Stiftskirche stand jedem offen.
«Ihr habt Euch doch ausgiebig mit Religion und Gottesglauben befasst», hatte sie ihn nach anfänglichem Zögern gefragt. «Muss eine Frau in der Ehe alles in Demut ertragen? Darf sie niemals wider das Wort Ihres Ehewirts handeln? Oder gibt es nicht sogar Ausnahmen, in denen das vor Gott gegebene Versprechen einer Ehe nicht mehr gilt?»
«Ich nehme an, Ihr sprecht von Eurer eigenen Ehe, Herrin.» Dabei hatte Reuchlin einen Seufzer nicht unterdrücken können. «Nun – darüber, ob das Weib dem Manne tatsächlich untertan und zu uneingeschränktem Gehorsam verpflichtet ist, darüber streiten die kirchlichen Gelehrten. Was indessen die Ehe zwischen Mann und Frau betrifft: Sie ist für uns Christen heilig und unauflöslich. Und auch Jesus lehrt: Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.»
«Wenn nun aber die von Gott vorgegebenen Bestimmungen gar nicht erfüllt sind?»
«Dann kann eine Ehe gegebenenfalls für ungültig erklärt werden, etwa bei Nichtvollzug oder wenn einer der Brautleute ungetauft ist. Diese Befreiung von der nicht sakramentalen oder nicht vollzogenen Ehe ist allerdings höchst selten und ein Gnadenbeweis, den allein der Papst gewähren kann. Verzeiht, wenn ich Euch so frei heraus frage, Euer Fürstlich Gnaden: Hat der Herzog das eheliche Beilager etwa nicht vollzogen?»
Sabina würde nie vergessen, wie ihr in diesem Moment vor Scham die Röte ins Gesicht geschossen war. Sie hatte etwas gestottert wie: «Nein, im Gegenteil», und gemeint, dass es doch noch andere Gründe für eine Auflösung geben müsse.
Daraufhin hatte ihr Reuchlin erklärt, dass in Ausnahmefällen, da habe sie recht, sogar der Bischof und das geistliche Gericht eine fürstliche Ehe auflösen könne – nämlich im Falle des Ehebruchs. Allerdings stehe dieses Recht der Scheidung nur den Männern zu, denn nach Auffassung der Kirchenväter könne lediglich das Weib die eigene Ehe brechen, nicht hingegen der Mann. Der breche in seinem Tun immer nur die fremde Ehe.
Sprachlos hatte Sabina ihn angesehen. Schließlich hatte sie leise gesagt:
«So bleibt mir also nichts, als ein Leben lang auszuharren in diesem Unglück?»
«Nicht ausharren im Unglück solltet Ihr, sondern Euch im Gegebenen einrichten. Das ist ein bedeutsamer Unterschied. Wenn Ihr Eure Kräfte nicht länger im Kampf gegen das Unvermeidliche verzehrt, werdet Ihr plötzlich entdecken, wie viele Möglichkeiten Euch offenstehen. Schafft etwas, das Euch lieb ist. Schafft etwas im Kleinen, im Alltäglichen, undIhr werdet sehen: Die Ernte wird reicher, als Ihr es je erwartet hättet.»
Noch tagelang klang dieser Ratschlag ihr in den Ohren, dann wusste sie mit einem Mal, was sie tun würde: Sie würde sich eine Schreibstube,
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