Das Mädchen und die Herzogin
ein Bücherkabinett einrichten. Dafür musste sie nur einen Teil der Hauptstube mit zwei Holzwänden abtrennen, und zwar so, dass der Kachelofen das Kabinett mitheizen würde. Dazu noch ein hübsches Stehpult und eine Regalwand, und sie würde endlich ihre Bücherkiste auspacken können. Vielleicht hatte ja Reuchlin noch das ein oder andere Werk, das er ihr überlassen würde – sein Haus neben der Stiftskirche zog nicht nur die großen Geister und Gelehrten des Landes an, sondern beherbergte auch seine weitberühmte Privatbibliothek. Und drüben im Hofgarten könnte sie einen kleinen Tierpark aufbauen, wie es inzwischen überall an den Fürstenhöfen in Mode war. Mit Affen, Luchsen und Rotwild. Vielleicht sogar einen Bärenzwinger. Gab es nicht genug, womit sie sich hier das Leben verschönern konnte?
Mit der Wärme des Frühlings kehrte denn auch Sabinas alte Tatkraft zurück. Zusammen mit Lioba und ihrem Hündchen unternahm sie ausgedehnte Spaziergänge, zunächst im Hofgarten, dann, unter den Argusaugen ihrer bewaffneten Leibwächter, auf dem Großen Graben vor der Stadt, oder auch Ausritte in die weitere Umgebung. Hänschen von Hutten war ihr inzwischen ans Herz gewachsen wie ein kleiner Bruder, sie neckte ihn gern wegen seiner Leichtgläubigkeit und Unbeholfenheit gegenüber schönen Frauen. Hin und wieder nahm auch Ulrich an den Ausflügen teil, jedes Mal mit einer mehr oder weniger lauten Schar von Gästen und einer Meute Hunden, doch Sabina machte gute Miene zum unangenehmen Spiel. Sie war fest entschlossen, es sich mit Ulrich nicht weiter zu verderben. Reuchlin hatte recht: Siemusste das Beste aus ihrer Lage machen, ohne Jammern und Klagen. Und wie durch ein Wunder suchte Ulrich nun sogar hin und wieder das Gespräch mit ihr.
Sie machte sich gerade an die ersten Vorbereitungen zu ihren Vorhaben, da bat Ulrich sie in aller Höflichkeit, ihn zum großen Rosslauf bei Marbach zu begleiten – zu einem wahrhaft formidablen Ereignis, das er künftig in jedem Maien zu veranstalten gedenke, so glänzend sei dieses Fest bei den Gästen im Frühjahr zuvor aufgenommen worden. Reizvoller könne eine Rennbahn gar nicht gelegen sein als diese langgestreckte Dorfweide, die sich unter lichten Bäumen in die Biegungen des Neckarufers schmiege, dabei sonnig und windgeschützt. Aber sie werde ja selbst sehen und staunen. Und für die vornehmeren Gäste habe er eigens ein Rennhaus erbauen lassen, man wolle sich ja als Fürst nicht lumpen lassen.
So plauderte er, auf seinem Schimmel reitend, munter mit ihr daher, während Sabina mit ihrer ewig sauertöpfischen Hofmeisterin im offenen Kutschwagen saß, über ihnen sangen die Feldlerchen ihre Lieder, und vom blanken Himmel strahlte warm die Sonne. Doch so recht konnte Sabina sich nicht entspannen. Zum einen wäre sie jetzt lieber über ihren Skizzen zur Bibliothek gesessen, zum andern beschlich sie das alte Misstrauen gegenüber Ulrichs Heiterkeit. Hatte sie doch zur Genüge erfahren, wie plötzlich seine Gemütslage in ihr genaues Gegenteil umschlagen konnte. Oder sprach aus seiner aufgeräumten Stimmung die Vorfreude auf ein Wiedersehen mit dieser elenden Ursula? Je näher sie den Neckarauen bei Marbach kamen, desto beherrschender wurde ein einziger Gedanke: Wer würde unter den Gästen sein?
Über Doctor Reuchlin würde sie sich aufrichtig freuen, doch wusste sie, dass er solch lauten und lebhaften Anlässen am liebsten fernblieb. Auch Hänschen von Hutten hätte siegern dort angetroffen. Das war es aber auch schon. Diese ganze Heerschar von Ulrichs Hofbeamten und Beratern, all diese Ohrenbläser und Speichellecker, die an seinen Fersen klebten wie ein Haufen Kletten, konnten ihr gestohlen bleiben. Und die Gesellschaft von Ulrichs ritterlichen Spießgesellen war auch nicht viel angenehmer, vor allem diese großgoscherten Grobiane wie Götz von Berlichingen mit seiner falschen eisernen Faust oder Franz von Sickingen, dieser Wendehals und Friedensbrecher, der sich mal ihren Brüdern, mal ihrem Gemahl andienerte.
Was aber, wenn Ulrich nun wirklich die Thumbin eingeladen hatte, wenn er Sabina nur mitgenommen hatte, um sie ein weiteres Mal zu demütigen, um sie nach dem Besuch ihrer Familie endgültig in die Schranken zu weisen?
Jeder Muskel ihres Körpers war gespannt, als der Wagen in die Einfahrt des neu erbauten Rennhauses rumpelte, das am Rande eines Winzerdorfes lag. Im Hof wimmelte es von Knechten und eintreffenden Gästen, von Rössern, Karren und Wagen.
Weitere Kostenlose Bücher