Das Mädchen und die Herzogin
hineingehuscht, um unbemerkt zu beobachten, wie Ulrich sich verhielt in Gegenwart ihrer Familie. Doch leider kündigte sie Haushofmeister von Nippenburg wie üblich mit lauter Stimme und dem dreimaligen Schlag seines Stabes an.
Alle Köpfe fuhren herum in ihre Richtung, alle Gespräche verstummten. Sabinas Blick fiel geradewegs auf ihre Mutter. Abgespannt sah sie aus, das feine Haar war inzwischen fast weiß, doch ihre Augen funkelten hellwach. Entgegen den Gepflogenheiten hatte sie nicht am Tisch der Hofdamen Platz genommen, sondern ihrem Tochtermann gegenüber, an dessen Ehrenplatz zur Rechten Wilhelm saß.
Nippenburg führte seine Herrin an den freien Platz neben Herzogin Kunigunde. Die ließ es sich nicht nehmen, vor aller Augen aufzuspringen und Sabina herzlich an ihre Brust zu drücken. Wie immer trug Kunigunde so stolz, als sei es ein Festgewand, die aschenfarbene Tunika der Clarissinnen, mit dem Rosenkranz aus klarem Bernstein als einzigem Schmuck. Es schien ihr nichts auszumachen, höfischem Prunk und Glanz auf immer abgeschworen zu haben.
«Mein Kind, mein armes Kind», flüsterte sie ihrer Tochter ins Ohr. Dann schob sie sie wieder von sich und sagte laut: «An unserem Hof hast du niemals so krank ausgesehen. Und nun begrüße deinen Bruder Wilhelm. Von Ludwig soll ich die besten Wünsche überbringen. Unglückseligerweise», sie warf ihrem Sohn einen ärgerlichen Seitenblick zu, «ist er verhindert.»
Wilhelm stand auf, fasste Sabina flüchtig bei den Schultern, nickte ihr dabei zu und setzte sich wieder. Wie er sich verändert hatte in diesem einen Jahr! Unnahbar wirkte er, fast hochmütig – gewiss lag das auch an der verantwortungsvollen und oft schweren Bürde des Regierens. Als Herzog von Baiern konnte er nicht mehr gut seine Schwester um die Hüftefassen und zur Begrüßung durch die Luft wirbeln, wie er es früher immer getan hatte.
Während dieser Begrüßungszeremonie waren Ulrichs Blicke unruhig von einem zum andern gesprungen, auf seinen Wangen zeichneten sich rote Flecken ab. Das verriet, wie Sabina inzwischen wusste, höchste Anspannung. Ihrem Blick wich er eindeutig aus, und Sabina hätte ihn am liebsten an den Schultern geschüttelt und gefaucht, dass er sich das alles selbst eingebrockt habe – jetzt sollte er sehen, wie er sich für seine Missetaten vor der bairischen Fürstenfamilie rechtfertigte.
Ulrich räusperte sich und gab dem Speisenmeister ein Zeichen.
«So lasst uns nun essen. Ihr werdet ausgehungert sein nach der langen Reise. Mit Gottes Segen und auf unser aller Wohl.»
Er hob seinen Kelch und trank ihn in einem Zug leer. Die Männer bei Tisch taten es ihm nach. Dennoch entspannte sich die Situation kaum, die Tischgespräche kamen nur schleppend in Gang.
Neben Sabinas Bruder saß ein etwa dreißigjähriger Mann im Gelehrtenmantel, der ihr unbekannt war und sich im Laufe des Mahls als Doctor Leonhard von Eck vorstellte. Seine Züge hatten etwas Asketisches. Aus dem hageren Gesicht sprangen die Backenknochen auffallend hervor, und sein großer, energischer Mund wirkte nicht so, als würde er oft lachen. Er hatte schmale, dunkle Augen und einen stechenden Blick, der es an Eindringlichkeit mit dem ihres Mannes aufnehmen konnte. Schweigsam zunächst, doch dafür umso aufmerksamer lauschte er den Gesprächen, die sich um so belanglose Dinge wie das Wetter, die Pferde- oder die Jagdhundezucht drehten.
Bereits nach der vierten Speisenfolge erhob sich die Herzoginmutter.
«Ihr erlaubt, dass ich mich zurückziehe. Die Reise war anstrengend. Und Euch, mein Sohn, ersuche ich um eine Audienz. Morgen früh, im engsten Kreise.»
Ulrich nickte mit unbewegter Miene, während Dietegen von Westerstetten aufsprang und an Kunigundes Seite eilte. Die schüttelte den Kopf.
«Nicht nötig. Aber ich möchte, dass meine Tochter mich begleitet.»
Sofort verstärkten sich auf Ulrichs Wangen die roten Flecken. Sabina sah ihn fragend an: «Wenn Ihr also erlaubt, herzlieber Mann –?»
«Da gibt es nichts zu erlauben», fuhr die Herzoginmutter in scharfem Tonfall dazwischen. «Gute Nacht allseits.»
Für einen Augenblick hätte man eine Nadel zu Boden fallen hören können. Sabina blickte zu ihrem Mann. Die Hände des Herzogs umklammerten den Prunkkelch, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Diesmal hatte Kunigunde eines der Gästezimmer bezogen, die im obersten Stockwerk lagen. Beklommen schritt Sabina neben ihrer Mutter die Treppe hinauf, im flackernden Licht der Fackeln. Wie jämmerlich
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