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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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vorgeschriebenen Verlauf nehmen könne.
    Wider Erwarten beantwortete der Gaispeter nun pflichtgemäß und ohne Narreteien die Fragen nach Name, Herkommen und Stand, obgleich er doch jedem, von Fellbach bis Gmünd, bekannt war. Er verhielt sich überhaupt ruhig und ernst und beschwerte sich in wenigen klaren Worten über das Ungeld. Dann bat er die Gerichtsherren allen Ernstes, sie sollten sich beim Schorndorfer Vogt stark machen dafür, dass für die Untertanen im Land die alten Bräuche wieder galten.
    «Denn das betrifft uns alle, auch Euch, die Ihr zuoberst in der Gemeinde steht.»
    Damit beschloss der Angeklagte seine Rede, und die Richter zogen sich zur Beratung zurück. Jeder erwartete, dass der Gaispeter wenn nicht zu Gefängnis wegen Aufruhrs, so doch mindestens zum Begleichen eines Kleinen Frevels verurteilt würde – doch was dann als Urteil folgte, war schier unglaublich. Man verwarnte und ermahnte ihn, sich fortan ruhig zu halten und die Beschwerden in schriftlicher Form der Obrigkeit vorzubringen. Der Dorfschreiber würde ihm hierbei helfen. Der Gaispeter versprach’s und war wieder ein freier Mann.
    Vitus dachte an Marie. Wie recht sie damit hatte, dass jederlesen und schreiben können sollte. Er seufzte. Ach, wäre sie jetzt nur in seiner Nähe. Einen Moment lang war er versucht, sich auf den Weg zur Arbeit zu machen, da er es sich mit seinem Meister nicht verscherzen wollte. Ach was, Ärger gab’s ohnehin – ob er nun zu spät kam oder gar nicht.
    So folgte er dem Grüppchen um den Gaispeter und dem Schreiber in die Wirtsstube und dachte darüber nach, dass die Richter diesem Querkopf doch eigentlich den Rücken gestärkt hatten. Dass der Gaispeter von nun an Ruhe geben würde, das würde wohl keiner glauben.
    Noch am selben Abend läuteten die Glocken der Nikolauskapelle droben auf dem Beutelsbacher Kappelberg Sturm. Peter Geiß machte tatsächlich wahr, was er am Mittag in der Dorfschenke angekündigt hatte: Er werde den Beschwerdebrief höchstselbst dem Schorndorfer Vogt übergeben, und zwar begleitet von einem bewaffneten Heerhaufen. Man werde den Herrschaften zeigen, wo der Barthel den Most hole.
    Zu Hunderten zogen sie den Berg hinauf, auch aus den Nachbardörfern und Weilern strömte es hinzu, und bis in die Nacht hatten sich im Schein der Fackeln zweitausend Männer versammelt, bewaffnet nicht nur mit Sensen und Mistgabeln, sondern auch mit Schwert, Armbrust und Büchse, da etliche von ihnen dem Landesaufgebot angehörten oder sich, wie bei den überzähligen Winzersöhnen üblich, als Landsknechte verdingt hatten.
    Auch Vitus war mit dabei, mit einem blauen Auge und schmerzendem Rücken. Sein Vater hatte ihn vergeblich zurückzuhalten versucht, war dann über seines Sohnes Ungehorsam dermaßen in Zorn geraten, dass er ihn heftig geschlagen hatte. Irgendwann hatte Vitus sich freimachen können und war zur Tür hinaus, hatte sich noch einmal umgedreht und dem Vater zugeschrien, was er schon längst hätte sagen sollen:Dass er kein Kind mehr sei und dass er diese dumme Gans niemals heiraten werde. Seine künftige Frau heiße Marie.
    An Schlaf dachte in dieser kalten, sternenbesäten Mainacht niemand. Als im Morgengrauen endlich der Ruf: «Auf nach Schorndorf! Auf zum Vogt!» erscholl, formierte man sich in wohlgeordneten Viererreihen und marschierte mit energischem Schwung in Richtung Amtsstadt. Niemand wusste, was sie dort erwarten würde, jeder aber ahnte, dass sich die Obrigkeit angesichts der Waffen ihrerseits nicht zimperlich zeigen würde. Vitus, der neben einem Freund aus Kindertagen namens Enderlin ging, klopfte das Herz bis zum Hals: Ein klein wenig vor Angst, aber vor allem vor Stolz, endlich seinen Mann zu stehen.
     
    Das laute Stimmengewirr schallte in der Eingangshalle fast schmerzhaft in den Ohren, dazu herrschte ein aufgeregtes Kommen und Gehen wie in einem gigantischen Hühnerstall. Am lautesten gackerten Haushofmeister von Nippenburg und die Gebrüder von Westerstetten, die fürwahr wie aufgescheuchte Hühner hin und her flatterten.
    Sabina entdeckte Doctor Reuchlin, der mit seinen Kollegen vom Hofgericht im Eilschritt die Dürnitz betrat. Alle eilen sie, dachte Sabina, nur der Herr und Herzog nicht. Der weilte in Muße auf Badereise mit seinem neuen Freund und Vetter, dem jungen Philipp Landgraf von Hessen. Gestern früh bereits war in der Residenz die Kunde von jenem dreisten Tumult im Remstal eingetroffen und dass sich die Aufrührer in einem Feldlager sammelten, um mit

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