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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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mit dabei ist, soll heute Mittag in die Wirtsstube kommen. Danke, Herr Pfarrer, für die Redezeit. Auch Ihr seid im Übrigen herzlich willkommen.»
     
    Von allen Seiten strömten die Menschen auf den Wasen am Neckarufer. Wie der Strudel eines Baches die Wasser in seine Mitte zieht, so saugte der freie Platz zwischen den Verkaufsbuden immer noch mehr Menschen an. Marie stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals: Wie sollte sie in diesem Gedränge Vitus ausfindig machen?
    Dass auch er zur Untertürkheimer Kirbe kommen würde, davon war sie felsenfest überzeugt – so begeistert wie er damals von den heimlichen Zusammenkünften erzählt hatte. Auch in ihrem Dorf gab es jetzt einen Ratschlag, der sich höchst geheim im Wohnhaus von Gilgen Schladererversammelte. Dabei wussten längst alle im Dorf, wann man sich traf und wer alles den Schwur auf den Armen Conrad geleistet hatte.
    Der Lange Gilgen, der neben ihr stand, pfiff durch die Zähne: «Ich schätze, das sind mindestens dreitausend Menschen. Und das, obwohl der Herzog jeden Aufmarsch verboten hat.»
    «Und wenn er nun Truppen schickt?»
    Marie war es trotz ihrer Vorfreude, Vitus wiederzusehen, ziemlich mulmig zumute, und sie griff fester um die Hand ihrer kleinen Schwester.
    «Ach was. Soll er etwa seinen gesamten Bauernstand zusammenhauen lassen? Außerdem ist es nicht der Herzog, sondern es sind seine vollgefressenen Hofschranzen und Edelmänner, gegen die sich unser Widerstand richtet. Das weiß er genau.»
    Wie eine Schafherde drängten sich die Dörfler um ihren Wortführer. Marie konnte es immer noch nicht glauben: Wer nicht gerade krank oder gebrechlich war oder freiwillig die Versorgung des Viehzeugs übernommen hatte, war mitmarschiert an diesem warmen Maientag, fast das gesamte Dorf, auch die meisten der Frauen und Kinder. Der Aufruf des Pfarrers in seiner letzten Predigt zu Himmelfahrt, an dieser wichtigen Versammlung teilzunehmen, hatte also gefruchtet. In der Morgendämmerung waren sie los, jetzt ging’s gegen Abend, und Marie spürte jeden Muskel in den Beinen. Zu ihrer Überraschung waren neben dem Pfarrer auch ihr Oheim und die beiden Vettern mit dabei. Berthe hatte geschimpft und getobt wie eine Tollhäuslerin, doch sie konnte es nicht verhindern, dass sie schließlich als Einzige in ihrer Hütte zurückblieb.
    Wie lange sie fortbleiben würden, wusste keiner. Es hieß,angesichts der heftigen Unruhen letzte Woche habe der Herzog einen Landtag einberufen, auf Ende Juni, um der gefährlichen Lage Herr zu werden Tatsächlich war es vielerorts längst nicht mehr bei den hitzigen Schmähreden geblieben. In einigen Ämtern tobten die Aufrührer unter der Fahne des Armen Conrad durch die Gassen, mit wirbelnden Spießen, und besetzten Tore und Mauern oder versuchten gar, den herzoglichen Kornkasten und die Pulverkammer zu stürmen. In Marbach, hieß es, seien sogar Schüsse gefallen, die dem Vogt galten.
    Über ein Netz von Kurieren hatten sich die Ratschläge im Land darüber verständigt, so lange auszuharren, bis Herzog Ulrich ihre Forderungen entgegennehmen und Stellung beziehen würde. Und wenn es bis zum Landtag im nahen Stuttgart wäre.
    «Siehst du irgendwo die Beutelsbacher?», fragte Marie den Langen Gilgen, der die meisten Umstehenden um Kopfeslänge überragte. Der lachte.
    «Bist wohl nur wegen deinem Vitus mitgekommen?»
    Marie schüttelte verlegen den Kopf; obwohl er natürlich ins Schwarze getroffen hatte. Gilgen sah sich um. Dann deutete er in Richtung Holzpodest, das in der Mitte des Platzes aufgebaut war.
    «Dort sehe ich zumindest den Gaispeter. Warte hier, ich werde nachfragen.»
    Doch da hatte sie Vitus bereits entdeckt. Beherzt schob sie sich durch die Menschenmenge, wurde angeschnauzt und angerempelt, verlor Vitus aus den Augen, fand ihn wieder, drängelte weiter, bis sie endlich hinter ihm stand.
    «Vitus!» Ihr Herz klopfte bis zum Hals.
    Er fuhr herum. «Meine Güte, ich hab’s geahnt.»
    Sein sonnengebräuntes Gesicht strahlte, er nahm sie beiden Schultern und drückte sie so fest an sich, dass ihr die Luft wegblieb. Dann sagte er: «Den ganzen Weg hierher hab ich gebetet, dass du kommen würdest.»
    Er wandte sich an einen jungen Burschen neben sich. «Das ist meine Marie. Marie, das ist Enderlin, ein guter Freund. Und Mitstreiter», setzte er grinsend hinzu.
    Marie begrüßte Enderlin, dann fragt sie leise: «Ist dein Vater auch hier?»
    «Der doch nicht. Der sieht uns alle als gottlose Rebellen. Dabei hat er,

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