Das Mädchen und die Herzogin
länger hin, dass für sie alles gottgegeben sein soll. Und für dumm verkaufen mit schlechten Münzen und falschen Gewichten kann man sie bestimmt auch nicht. Mit einem solchen Beschluss legt Ihr die Lunte ans Pulverfass.»
«Weibergeschwätz!» Seine Augen funkelten ärgerlich.Dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. «Auf geht’s, meine Herren, setzt Euch her. Auf diesen Einfall trinken wir ein Krüglein.»
Sabina unterdrückte jede weitere Bemerkung. Es hatte keinen Zweck. Ulrich sah nicht das Unwetter, das sich über ihnen zusammenbraute.
Vitus war nicht weniger aufgebracht als all die andern, die sich nach dem Sonntagskirchgang auf dem staubigen Dorfplatz versammelt hatten und dem Mann mit der kräftigen, spöttischen Stimme lauschten. Erst hatte man ihnen die alten Rechte genommen, dann, nach all den Missernten und Teuerungen der letzten Jahre, auch noch dieses neue Ungeld auf den Buckel gedrückt, ein Ungeld sogar auf die hauseigene Metzelsuppe! Und das alles, weil die reichen Hansen keine Steuern zahlen wollten. Seit Ostern, seit zwei Wochen nun, galten die neuen, einheitlichen Gewichte, deren Maße ein Zehntel weniger betrugen.
«Wir sollen jetzt blechen, was die Stuttgarter Höflinge verprasst und verbraten haben. Wir – der gemeine Mann, der arme Hinz und Kunz. Hat man uns nicht schon genug ausgepresst? Hatte der Scheffel Dinkel vor fünf Jahren noch zwanzig Kreuzer gegolten, zahlen wir inzwischen über zwei Gulden. Und jetzt noch die falschen Gewichte. Was meint ihr, halten uns diese Hofschranzen für so blöde?»
Das Geraune wurde lauter, und der Gaispeter grinste in die Runde. Der hünenhafte Beutelsbacher Taglöhner, der Weib und sechs Kinder zu versorgen hatte, war bekannt für sein loses Maul gegen die Obrigkeit und hielt seine Reden überall auf den Märkten und in den Schenken. Für eine Kanne Wein trug er sie sogar in Reimen vor.
«Ja, schimpft ihr nur. Aber gejammert und gescholten wirdüberall. Wir Remstäler hingegen schreiten zur Tat. Macht ihr mit?»
«Aber ja!» – «Auf geht’s!»
Der Gaispeter hob die Hand. Augenblicklich wurde es still. Vitus drängelte sich ein Stück weit durch die Menge und sah, wie ihr Wortführer eine Mistgabel packte und damit einen weitläufigen Ring um sich durch den staubigen Boden zog. Aus sicherer Entfernung blickte mit finsterer Miene der Dorfbüttel herüber. Von den hohen Herrschaften des Dorfes war hingegen keiner zu sehen.
Jetzt richtete sich der Gaispeter auf und stellte sich in die Mitte des Kreises.
«Armer Conrad heiß ich, bin ich, bleib ich!» Er reckte mit beiden Händen die Mistgabel in die Luft. «Und wer nicht geben will den bösen Pfennig, der trete mit mir in diesen Ring!»
Vitus zögerte. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Wahrscheinlich standen seine Eltern irgendwo dort hinten, verborgen im Schatten der Häuser oder an einem der Fenster, und beobachteten dieses seltsame Treiben. Beherzt trat währenddessen eine Handvoll junger Gesellen in den Kreis, gefolgt von noch jüngeren Lehrknechten. Nach und nach gesellten sich auch einige der Älteren hinzu, arme Seldner zunächst oder Taglöhner wie der Gaispeter. Als erst der Hafner, dann der Sägmüller ihrem Beispiel folgten, gab es kein Halten mehr unter den Versammelten. Vitus wollte sich eben einen Ruck geben, als er Hedwig entdeckte: Sie stand hinter dem Brunnen im hellen Licht der Mittagssonne und sah ihn an in einer Mischung aus Entsetzen und Enttäuschung. Trotzig warf Vitus den Kopf in den Nacken und betrat den Kreis, der kaum noch Raum bot. Marie hätte ihn verstanden, Marie hätte ihn niemals so entsetzt angestarrt.Als er das nächste Mal in Hedwigs Richtung sah, war sie verschwunden, wahrscheinlich auf dem schnellsten Wege nach Hause gelaufen, um ihren Eltern brühwarm Bericht zu erstatten.
«Und jetzt mir nach, zum Metzgerhans. Wer Trommeln und Pfeifen hat, bringe sie dorthin.»
Gespannt folgte Vitus der Menge, die inzwischen aus bestimmt zwei-, dreihundert Männern bestand, vorbei an der Kirche, die Gasse hinunter bis vor das behäbige Fachwerkhaus des Metzgers. Den hatte der Tumult bereits vor die Tür gelockt. Mit verschränkten Armen und noch um einiges breiter und kräftiger als der Taglöhner, baute er sich vor diesem auf.
«Was willst du, Gaispeter? Bist wieder auf Händel aus?»
«Gib die neuen Gewichte raus, die zum Fleischabwiegen.»
«Und wenn nicht?»
Der Gaispeter wandte sich um und grinste seine Mitstreiter an. «Was meint
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