Das Mädchen und die Herzogin
Dispute zwischen Ratgebern und Hofbeamten, zwischen den eiligst einberufenen Vögten des Landes und dem Herzog nur vom Hörensagen mit, wobei ihr verlässlichster Informant der Hofzwerg war.
Dietrich Speth war zu keiner der Sitzungen geladen, denn Ulrich war mit seinem alten Freund und Kampfgenossen zu Tode beleidigt. Der hatte nämlich, beim Aufflammen der Aufstände im Uracher Forst, keineswegs daran gedacht, die Nester der Aufständischen auszuheben und zu vernichten, sondern dem gemeinen Mann gar noch Zugeständnisse gemacht, so etwa, dass einfallendes Wild mit Hunden von den Feldern gehetzt werden dürfe. Dass sich damit die Lage bei Urach erst einmal beruhigt hatte, hatte Ulrich nicht anerkennen wollen.
In Sabinas Gemächern ließ sich Ulrich in jenen Tagen nicht mehr blicken, und sie selbst ging ihm wohlweislich aus dem Weg. Schließlich, Anfang Juni, beruhigte sich die Lage: Zu ihrem Erstaunen hatte Ulrich Vernunft bewiesen und den Bauern offiziell zugestanden, Vertreter auf den Stuttgarter Landtag zu schicken, um ihre Beschwerden vorzubringen – gegen den erbitterten Widerstand der Tübinger und Stuttgarter Ehrbarkeit. So einigten sich überall in den Ämtern die Rebellen mit Vogt, Schultes und Gericht, sich bis zum Landtag ruhig zu verhalten, und verpflichteten sich, gehorsam und untertänig zu bleiben.
Vitus und Enderlin waren eifrig mit dabei, als man in den Ratschlägen daran ging, den Landtag vorzubereiten. Dazuhatten die Bauern und Winzer, zu denen mehr und mehr auch Handwerker stießen, in vielen Städten Canzleien eingerichtet, zumeist in den Wohnhäusern der Anführer. Von dort gingen die Nachrichten sternförmig ins Land hinaus. In Schorndorf, neben Stuttgart Zentrum des Aufstands, war es die Schreibstube im Haus des Messerschmieds Caspar Bregenzer am Unteren Tor, wo Kuriere aus und ein gingen. Am Pfingstsonntag fanden sich hier an die fünfzig Schorndorfer unter der Fahne und dem Eid des Armen Conrad zusammen, und bis Mittag stieß aus den Remstäler Dörfern eine Abordnung nach der anderen hinzu.
Längst hatte das Ausarbeiten der Beschwerdelisten aufs Neue den Unmut der Menschen entfacht und vor allem ihr Misstrauen und ihre Zweifel gegen die Obrigkeit. Und so waren nicht wenige von ihnen, sofern sie dem Landesaufgebot angehörten, bewaffnet zum Ratschlag gekommen.
«Jetzt ist unsere Zeit gekommen», schrie ihr Anführer, sprang auf den Tisch und ließ sein Kurzschwert durch die Luft pfeifen. «Was nützt es uns, wenn man uns die alten Rechte heute gibt und morgen wieder nimmt? Wir fordern Mitsprache gegenüber Ehrbarkeit in Stadt und Dorf, für immer und alle Zeiten. Wir fordern einen eigenen Landstand, einen vierten neben Ritterschaft, Prälaten und Ehrbarkeit. Lasst uns dafür kämpfen, dass uns der Riegel in der Ratsstube endlich aufgetan wird!»
Die überfüllte Stube erbebte vor Beifall und Fußgetrampel, dann ging alles rasend schnell. Nachdem die Rebellen eigenmächtig die Sturmglocken geläutet hatten, ein Recht, das eigentlich nur den Ratsherren zukam, strömten sie unter Trommeln und Pfeifen auf den Marktplatz, Vitus und Enderlin mitten im Gedränge. Feige zogen sich die Männer der Stadt- und Schildwache in eine Seitengasse zurück, undso war es ihnen ein Leichtes, das Rathausportal zu stürmen und vom Vogt die Stadtschlüssel zu fordern. Überraschend schnell gab Georg Gaisberg nach. Er überreichte ihnen die Hälfte der Torschlüssel und versprach im Namen des Magistrats, dass künftig in der Gemeindevertretung auch der gemeine Mann eine Stimme haben sollte.
Noch vor dem Abend war ganz Schorndorf in ihrer Gewalt, und die Stadt fand zunächst zur Ruhe.
Niemals wieder, dachte Vitus, als er in der Nacht mit den andern bei einem Krug Wein saß, würden sich die Bauern und Winzer in diesem Land mit Füßen treten lassen. Heute hatten sie ihre Macht und ihre Stärke bewiesen, nun würde der Herzog einlenken müssen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Und sein Vater würde ihn nicht länger als leichtfertigen Malefizkerl schmähen. Er schloss die Augen und sah Marie vor sich, ihr Lächeln im rosigen Gesicht. Er wusste: Sie wäre stolz auf ihn.
Sabina konnte es nicht glauben. Während der Aufruhr im Land überall neue Brände anfachte, war Ulrich auf und davon. Mit kleinem Tross und reichlicher Furage hinauf auf die Alb, zu einem ausgedehnten frühsommerlichen Jagdaufenthalt. Selbstredend ohne seine Gemahlin, dafür mit Hans von Hutten und dessen Frau
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