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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Ursula.
    Aufgebrochen war er, obwohl an jenem Tag ein Kurier die Nachricht überbracht hatte, in Marbach sei ohne herzogliche Erlaubnis ein Städtetag einberufen. Seither traf eine böse Zeitung nach der andern in der Residenz ein. So etwa, dass der Tübinger Vogt einen Aufstand in seiner Stadt nur mit Mühe niedergeschlagen habe. Dann, einen Tag später, dass Schorndorf besetzt sei, und heute nun, dass die zu Marbach versammelten Bürger sich zum Anwalt der Bauern gemachtund Beschwerdeartikel ausgearbeitet hätten. Man habe sogar offen gefordert, der Herzog solle seinen Erbmarschall, Landschreiber und Canzler umgehend ersetzen und darüber hinaus häufiger seine Canzlei aufsuchen, um zu regieren und das Rechnungswesen seiner viel zu teuren Hofhaltung zu überprüfen. Über die letzten Punkte hätte Sabina fast laut aufgelacht, als sie davon erfuhr. Zumindest darin hatten diese Leute ins Schwarze getroffen!
    Ansonsten wurde die Lage immer brenzliger. In der Mehrzahl der wirtembergischen Ämter stellte sich inzwischen der gemeine Mann frank und frei der alten Ehrbarkeit in den Weg, ließen sich Bauern und Tagelöhner in den Magistrat wählen, verweigerten die Dörfler ihre Fronen und Abgaben oder fischten und wilderten nach Belieben. In acht Amtsstädten hatten die Armen Kunzen bereits die Stadtschlüssel an sich gebracht und in einigen Dörfern einen Schultes aus den eigenen Reihen eingesetzt. Und jetzt verlangten sogar die Stuttgarter Bürger einen Teil der Torschlüssel! Das ganze Land war aus den Fugen geraten, und Herzog Ulrich hatte nichts Besseres zu tun, als Rehböcke abzuschießen und sich gewiss auch noch anderweitig bestens zu vergnügen. Sabina wusste inzwischen, wie sehr er Auseinandersetzungen hasste. Nur allzu gern gab er die Verantwortung aus seinen Händen in die der Räte, um sich beim Volk nicht unbeliebt zu machen. Zugleich rüstete er heimlich auf, suchte Verbündete und jammerte beim Kaiser um Hilfe. Dabei gab es doch nur eine einzige vernünftige Lösung: die Anliegen der Menschen ernst nehmen.
    Kopfschüttelnd blickte sie auf das Bündel Briefe auf ihrem Stehpult. Neuerdings richteten sich die Flehbriefe der Amtleute und Bürgermeister sogar an sie, bat man sie inständig, auf den Herzog einzuwirken, damit zumindest die enormenWildschäden durch die herrschaftliche Jagd ein Ende fänden.
    Ulrich musste sofort einlenken, wollte er Schlimmeres verhindern, und es gab nur einen Menschen, der ihn würde dazu bringen können. Sie gab sich einen Ruck, hüllte sich in Umhang und Kapuze, verließ die herzoglichen Gemächer über eine Seitenpforte und eilte durch den wolkenverhangenen Junitag hinüber zum Markt. Der Diener, der ihr öffnete und sie nicht sogleich erkannte, bat sie, in der Vorhalle zu warten.
    «Herzogin Sabina! Welche Überraschung. Und mein Diener lässt Euch einfach hier stehen!» Dietrich kam die Treppe herunter. Er sah müde aus. «Es tut mir leid, Euer Gnaden, aber Margretha ist nicht hier.»
    «Dieses Mal wollte ich zu Euch.»
    Dietrichs Miene hellte sich auf. «Ihr habt Glück, dass ich noch hier bin. Ich wollte eben hinüber in die Canzlei, zur Ratsversammlung. Ich muss Euch sicher nicht erklären, dass dort alles kopfsteht.»
    Sie nickte. «Deswegen bin ich hier.»
    «Gehen wir in mein Kabinett. Ein wenig Zeit bleibt uns noch.»
    Er reichte ihr seinen Arm, doch sie tat, als bemerke sie es nicht. Es war ihr ohnehin mehr als unangenehm, dass Dietrichs Frau nicht im Hause war. Sie nahmen vor dem Kamin Platz, und Dietrich gab dem Kammerdiener ein Zeichen, sie allein zu lassen.
    «Und jetzt erzählt, bitte.» Er beugte sich vor und lächelte sie an. Viel zu heftig schlug ihr Herz plötzlich, und ihre Stimme klang dünn.
    «So geht es nicht weiter. Ihr müsst Ulrich hierherholen, Ihr persönlich. Ihr seid doch einer seiner engsten Vertrauten, einer seiner ältesten Freunde. Ich bitte Euch!»
    Dietrich seufzte. «Das war ich vielleicht einmal. Je länger er nun schon regiert, desto mehr zieht er sich von mir zurück. Noch gehöre ich zum herzoglichen Oberrat, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir Ritter und Edelleute allesamt vom Regimentsrat ausgeschlossen sind.»
    «Aber – warum?»
    «Ja, habt Ihr nicht gemerkt, wie wenig er von der Ritterschaft hält? Der Kleinadel hat längst nichts mehr zu sagen. Jetzt ist die Zeit der reichen Bürger, der Pfeffersäcke, der Stuttgarter und Tübinger Ehrbarkeit. Es ist ganz einfach: In der Stadt sitzt das Geld. Und Geld braucht der Herzog

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