Das Mädchen und die Herzogin
glaub ich, nur Angst, es sich mit dem Vogt zu verscherzen.»
Marie sah sich um, die Menge wurde zunehmend unruhiger. «Ich muss zu meinen Leuten, der Oheim macht sich sonst Sorgen.»
«Ich komme mit.»
Hand in Hand bahnten sie sich ihren Weg. Marie hätte die ganze Welt umarmen mögen, so glücklich fühlte sie sich.
«Ist das nicht großartig?», rief Vitus ihr ins Ohr. «Selbst von der Alb sind sie gekommen, alle Anführer sind dabei. Der Singerhans, der Bantelhans, der Matern Feuerbacher, selbst der Pfarrer Gaisslin aus Marktgröningen.»
Marie kannte weder den einen noch den andern, aber sie freute sich über Vitus’ Begeisterung.
«Das alles hat der Gaispeter zuwege gebracht, mit seinen Flugschriften und Werbern. Jetzt kommt der Herzog nicht mehr an uns vorbei.»
Utz blickte ihnen finster entgegen, und Marie ließ rasch die Hand ihres Freundes los.
«Das hätte ich mir ja denken können, dass du hier bist, Vitus Beck», raunzte er.
«Gott zum Gruße, Gevatter Schechtelin.» Vitus versuchte ein höfliches Lächeln aufzusetzen. Dann entdeckte er Muthlein, der neugierig herübersah, und setzte hinzu: «Und den Dorfprediger habt ihr auch gleich mitgebracht.»
In diesem Moment verebbte das Stimmengewirr, da der erste Redner das Holzpodest bestieg.
«Danken wir dem Herrgott, dass er uns hier und heute hat zusammenfinden lassen. Möge er uns die Kraft geben, auch weiterhin für unsere Rechte zu kämpfen.»
Beifall brandete auf.
«Wir werden erst weichen, wenn man uns den alten Brauch zurückgibt. Wir fordern: Wild und Wald, Jagd und Fischfang gemein, zumindest in unseren Wäldern! Und Schutz gegen Wildschaden und Vogelplage! Die Strafverschärfungen und die neuerlichen Frondienste müssen zurückgenommen werden!»
Der nächste forderte die Teilnahme am Landtag, ein anderer gar die Absetzung von Canzler, Landschreiber und Erbmarschall, und nicht wenige zitierten die Bibel, in der ihre alten Rechte begründet lägen. Nur gegen den Herzog selbst sprach keiner.
So ging es weiter vom einen zum nächsten Redner, bis Einbruch der Dämmerung. Die ersten Lagerfeuer flackerten auf, da und dort begannen die Menschen zu singen, geistliche Lieder voller Inbrunst, aber auch fröhliche Tanzlieder, und wer etwas zu essen und zu trinken dabeihatte, teilte es mit den Nachbarn. Alles war durch und durch friedlich, und Marie bettete sich, unter den Argusaugen ihres Oheims und ihrer Vetter neben Vitus, jeder züchtig unter der eigenen Decke. Nur ihre Hände fanden im Schutz der Dunkelheit heimlich zueinander.
«Hattest du großen Ärger», flüsterte sie, «wegen deines Besuchs bei mir?»
«Ich hab’s überstanden, wie du siehst. Und du? Hat deineMuhme herausbekommen, dass ich da war? Ich mein, weil dieser Pfaffe uns doch gesehen hat.»
Marie schüttelte den Kopf. «Der Herr Pfarrer hat nichts verraten. Er ist wirklich ein anständiger Mensch. Und sag nicht immer Pfaffe.»
Sie verriet nichts von der zweifachen Maulschelle, die sie sich eingefangen hatte, weil sie viel zu spät heimgekommen war.
So lagen sie unter dem klaren Sternenhimmel und schmiedeten im Flüsterton die wunderbarsten Pläne für ihre Zukunft. Endlich fand Marie auch den Mut zu der Frage, die ihr den ganzen Abend schon auf dem Herzen lag.
«Was ist mit dieser Hedwig?»
«Mach dir keine Sorgen deshalb. Ich habe Vater gesagt, dass ich die niemals heiraten werde. Dass ich dich heiraten werde.»
«Was hat er geantwortet?»
Sie spürte, wie er die Schultern zuckte. «Ist doch gleich. Er kann es nicht verhindern.»
Am nächsten Tag kam die Kunde, in Stuttgart rede man sich die Köpfe heiß, was zu tun sei. Gegen Mittag dann hieß es, Herzog Ulrich werde den Dorfgemeinden zugestehen, am Landtag teilzunehmen und dort ihre Beschwerden vorzubringen. Der Jubel hierüber war groß, und die ausgelassene Stimmung auf dem Wasen glich nun tatsächlich einem Volksfest. Als aber bis zum Abend kein offizielles Ausschreiben hierzu verlesen wurde, mehrten sich die Zweifel unter den Versammelten: War das womöglich nur ein Gerücht? Oder gab es eine herzogliche Verlautbarung, die ihnen von den Amtsleuten vorenthalten wurde? Und wer aus den einzelnen Gemeinden sollte dann beim Landtag sprechen dürfen? Am Ende warnten einige der Anführer vor allzu viel Vertrauen –der Herzog ziehe schon auswärtige Truppen zusammen, zu einem Angriff gegen sie.
In der Hofcanzlei ging es drunter und drüber, und Ulrichs Laune wurde zunehmend gereizter. Sabina bekam die heftigen
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