Das Mädchen und die Herzogin
wutverzerrt.
«Wolltest dich wohl davonmachen, du Miststück?»
Bevor Marie noch etwas entgegnen konnte, prasselten die Ohrfeigen auf sie ein. Da brach der Hass aus ihr hervor, der ganze Hass der letzten Jahre.
«Ja, schlag mich nur, du alte Hexe», stieß sie zwischen den Schlägen hervor. «Was andres kannst du ja nicht. Aber du musst mich schon totschlagen, um zu verhindern, dass ich gehe.»
«Das werden wir ja sehen!»
Ein Faustschlag traf sie an der Schläfe, und vor Maries Augen begannen Funken zu tanzen. Sie hörte noch Nelesverzweifelten Schrei, dann taumelte sie rückwärts gegen den Türrahmen. Der nächste Schlag raubte ihr die Besinnung.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf dem blanken Boden unter dem Tisch, mit Händen und Füßen an die Tischbeine gefesselt. Es war taghell. Mühsam hob sie den schmerzenden Kopf und sah geradewegs in Michels Gesicht, das sich jetzt zu einem frechen Grinsen verzog.
«Na, ausgeschlafen?»
«Bind mich sofort los.»
Das Sprechen fiel ihr schwer, so geschwollen waren Lippen und Wangen.
«Werd ich nicht. Im Gegenteil.» Ihr Vetter ließ sich neben sie auf den Boden fallen. «Ich muss auf dich aufpassen, bis die andern vom Feld zurück sind. Mutter lässt eine Kette beim Schmied machen. Damit kannst du dich dann hier im Haus bewegen und deine Arbeit machen.»
«Eine Kette?»
«Hm.» Er drehte die Hanfstricke um ihre Handgelenke noch fester zusammen. Marie unterdrückte einen Schmerzensschrei.
«Eine Kette wie für einen tollwütigen Hund. Damit du uns nicht davonläufst. So wie unser verdammter Scheißvater es getan hat.»
19
Ulrich reckte den schweißglänzenden Oberkörper in die Höhe, als reite er ein Schlachtross, während sein Unterleib heftiger zustieß. «Hättest sie sehen sollen», keuchte er, «diese elenden Mistgabeln, wie sie um ihr Leben gerannt sind.»
Seine Bewegungen wurden schneller.
«Von denen wird keiner mehr das Maul aufreißen. Das haben wir ihnen gründlich und endgültig gestopft. End – gül – tig!»
Mit einem letzten Stoß fand er zum Ende, und Sabina drehte den Kopf zur Seite. Seit Stunden hatte sie widerspruchslos Ulrichs triumphalem Bericht über das Ende der Aufstände zugehört, um im Anschluss daran ebenso widerspruchslos den ehelichen Beischlaf über sich ergehen zu lassen. Schließlich konnte sie sich glücklich schätzen, dass der Hausfriede in der Residenz wiederhergestellt war. Im Siegestaumel war Ulrich gestern aus dem Remstal zurückgekehrt, hatte mit seinen Kampfgenossen die ganze Nacht hindurch gezecht und gefeiert, bis er schließlich in ihr Schlafgemach eingefallen war, um sich auch von seiner Gemahlin gebührend bewundern zu lassen. Den Gefallen hatte sie ihm nicht getan. Genauso wenig hatte sie ihm aber zu widersprechen gewagt!
Immer noch mit Grausen nämlich erinnerte sie sich an jenen Nachmittag zur Mitte des letzten Monats, als Hufgetrappel und Gebrüll sie aus der Mittagsruhe hatten auffahren lassen. Sie war zum Fenster gestürzt und hatte unten im Schlosshof Ulrich entdeckt, inmitten seiner Trabanten, alle noch hoch zu Ross und eben erst aus Schorndorf zurück, Ulrich mit wirrem Haar und dunkelrotem Gesicht, verdreckt und verschwitzt. «Ihr Memmen, ihr Schlotterbeine, verrecken hättet ihr mich lassen!», hatte er immer wieder gebrüllt, und dann war er mit der Reitpeitsche zwischen seine Leute gefahren, im Auf und Ab eines wilden Galopps, bis die Pferde sich bäumten vor Schreck und die ersten Blutspuren sich auf dem Fell der Tiere, auf den Gesichtern der Reiter abzeichneten. «Hättet euren eigenen Herrn und Herzog verrecken lassen inmitten dieser Meute von Bauern.» Dann, sie hatte es deutlich gesehen, waren ihm die Tränen in Sturzbächen aus den Augen geflossen, Tränen der Wut und des Selbstmitleids. Ulrich hatte erst abgelassen von seinen Attacken, als Marschall Thumb mit einem Aufschrei vom Pferd geplumpst war, und sie selbst hatte sich beeilt, in den Hofgarten zu entkommen, um nicht ebenfalls ein Opfer von Ulrichs Raserei zu werden. Vom Hofzwerg hatte sie kurz darauf Einzelheiten über die so gründlich missglückte Schorndorfer Huldigung erfahren, und fast tat Ulrich ihr leid. Dies war nun schon die zweite schlimme Niederlage in kürzester Zeit gewesen, die er hatte hinnehmen müssen. Allein die Schmach des Tübinger Vertrags mit seinen weitgehenden Zugeständnissen an die Bürgerlichen und seinem halben Hundert Beschwerdeartikel war eine mehr als bittere Arznei gewesen, die er als Landesherr
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