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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hatte schlucken müssen.
    Dennoch dachte sie oft: Wäre Ulrich klug und einsichtig gewesen und hätte sich zumindest nach diesem Vertrag Zeit für die Bauern genommen – sie hätten es ihm durch Treue gelohnt, und es wäre nie zum Aufruhr gekommen. Er war eben einfach viel zu selbstherrlich.
    Ulrich ließ sich neben sie aufs Laken sinken und atmete tief durch. «Diese elenden schwäbischen Pfeffersäcke», sagte er plötzlich lachend. «Wollen mir allen Ernstes Vorschriften machen übers Zutrinken und Fluchen und Feiern bei Hofe. Die sind als Nächstes dran. Ist das Staatssäckel erst gefüllt, wird die Ehrbarkeit wieder tanzen, was ich pfeife.»
    «Wer wird den Krug zerschlagen, aus dem er trinken will?», murmelte Sabina.
    «Was faselst du da?» Er sah sie misstrauisch an. «Diese Pfeffersäcke werden gar nicht merken, wie ich sie melke.»
    «Ich meine die Bauern. Die Menschen, die das Land ernähren.»
    Für einen kurzen Augenblick glaubte Sabina, Ulrich würde die Hand gegen sie erheben, so glühend wurde sein Blick. Doch dann lachte er nur böse.
    «Die Armen Kunzen werden mich kennenlernen. Ich will an den Rebellen in Schorndorf ein Exempel statuieren. Und du wirst mit dabei sein.»
     
    Vier Tage später ritt Sabina im herzoglichen Gefolge in Richtung Morgen, durch jenes breite, mit Weingärten bestandene Tal, in dem die Feuersbrunst des Armen Conrad ihren Anfang genommen hatte und mit dem heutigen Tag ihr Ende finden sollte. Fast mit Gewalt hatte Ulrich sie zu dieser Reise zwingen müssen, hatte ihr zuletzt gedroht, das eigene Kind, die Anna, aus ihrer Obhut zu nehmen und zur Erziehung an einen fremden Hof bringen zu lassen. Was war ihr anderes übriggeblieben, als im Morgengrauen den mausgrauen Zelter zu besteigen und ihren Gemahl nach Schorndorf zu begleiten? Heute wollte er dort die Urteile verkünden und an Ort und Stelle vollstrecken lassen, nachdem seine Vögte die Gefangenen tagelang schon verhört hatten.
    Seite an Seite ritt sie neben ihrem Hofmeister Dietegen von Westerstetten, als einzige Frau unter zehn Dutzend Männern, selbst die Hofbeamten in halbem Harnisch, Helm oder Sturmhaube und so gut bewaffnet, als drohe ihnen angesichts der gefangenen Aufständischen irgendwelche Gefahr! Eintausendsechshundert Männer, so hatte sie erfahren, lagen in den Kerkern, Türmen und im Rathaus der Stadt in Ketten und warteten auf den Richtspruch.
    Angesichts dessen, was sie erwartete, hatte sie kein Auge für die Schönheit der Landschaft, ertrug sie kaum das selbstgefällige Lächeln, das nicht nur auf dem Gesicht ihres Hofmeisters lag, seitdem nun auch noch das allerletzte Amt demTübinger Vertrag gehuldigt hatte. Was sie durchaus wahrnahm, waren die stillen, wie ausgestorben daliegenden Dörfer in diesem Tal, die mit ihren zugesperrten Türen und Fensterläden gleichsam die Augen schlossen vor dem hochherrschaftlichen Tross, und sie gewahrte die Männer, Frauen und Kinder auf den Feldern, die sich tief verneigten ohne Jubel noch Freude.
    Gegen Mittag tauchte im Geflirre der Sommerhitze das Mauerwerk der Stadt auf. Bald darauf hatten sie die Uferwiesen vor dem Unteren Tor erreicht. Eine riesige Menschenmasse erstreckte sich vor Sabinas Augen, eine Masse in dem erdfarbenen Grau und Braun der einfachen Leute, worin sich der scharlachrote Baldachin, der über ein hölzernes Podest gespannt war, wie ein Blutfleck ausnahm. Doch bald schon schoben sich Einzelheiten in ihr Blickfeld: Die Männer zu ihrer Linken, längs des Remsufers aufgereiht wie an einem endlosen Rosenkranz, trugen ihre Hände gefesselt vor dem Leib, einige standen gar mit Eisen aneinandergekettet, alle paar Schritte hatte sich ein geharnischter Wächter aufgepflanzt. Rechts der freigehaltenen Gasse verharrten die Zuschauer, stumm und mit ängstlichen Blicken, darunter auch etliche Frauen und Kinder. Je näher Sabina der Richtertribüne kam, desto häufiger waren die Menschen in das vornehme Schwarz der städtischen Obrigkeit gewandet, doch stand auch in ihren Gesichtern nicht weniger die Angst um das Schicksal der Gefangenen.
    Nur das Hufgetrappel war zu hören, als sie über den zu fahlem Gelb verdorrten Wasen ritten. Wie konnten Tausende von Menschen so abgrundtief schweigen beim Einzug ihres Herzogs? Sie schwiegen sogar, als Stadtrichter und Schultheißen ihren Herrn ehrerbietig begrüßten und ihm wie seinem Gefolge Erfrischungen reichten. Allein dieses störrischeSchweigen musste in Ulrichs Augen schon wie Meuterei wirken, dachte Sabina und

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