Das Mädchen und die Herzogin
unsere Beschwerden nicht gehört werden. Daran ändert sich auch in drei Tagen nichts!»
«So ist’s!» – «Anhören hätt er uns sollen!» – «Elender Betrüger! Verschwender!»
«Genau!» Der Gaispeter hob seinen Spieß. «Ihr haut das Geld zum Fenster raus, Eure Räte prassen und raffen, und uns lasst Ihr im Dreck liegen.»
«Recht hat er!» Das Gebrüll wurde lauter. «Solche Herren brauchen wir nicht!» – «Die Reichen sollen mit uns teilen, oder wir erschlagen sie!» – «Und den Ulrich soll man zu seinem Vater an die Kette legen!»
Was nun folgte, würde Vitus nie vergessen. Die Frauen begannen zu spucken und zu werfen gegen den Herzog und seinen Tross, mit Erdbrocken, Steinen und Rossäpfeln, die Männer packten ihre Waffen, und schon war der Erste nebenden Schimmel des Herzogs gesprungen und griff ihm in den Zaum, während der Nächste den Reiter aus dem Sattel zu zerren versuchte. Nun erst griffen die herzoglichen Gefolgsleute ein, sprengten zwischen die Angreifer und ihren Herrn, aber da waren schon die Nächsten zur Stelle, mit gezückten Spießen und Katzbalgern, das Gebrüll war ohrenbetäubend, die ersten Wunden wurden gerissen, Faustschläge ausgeteilt, alles schrie und stieß und drängte. Nur Vitus blieb wie angewurzelt stehen. Hörte die Rufe: «Stoßt ihn nieder!», «Nehmt ihn gefangen!», sah, wie ein Teil des Haufens durch das geöffnete Stadttor stürmte, die Wächter zu Boden schlagend, bis es auf den Zinnen und Türmen von Männern nur so wimmelte, während sich der Herzog aus dem Gewühl zu retten versuchte. Erkannte das Entsetzen auf des Herzogs Gesicht, dessen Pferd sich bäumte, als es mit harter Hand herumgerissen wurde, mit Schaum vor dem Maul und verdrehten Augäpfeln, sah die Angst in Ulrichs Blick. Da endlich kam Ulrich frei, gab seinem Ross die Sporen, kreischte: «Das werdet ihr mir büßen, ihr Bastarde! Hundert- und tausendfach», und sprengte in gestrecktem Galopp davon, gefolgt von seinen Trabanten.
Vitus holte tief Luft. Waren denn seine Gefährten von allen guten Geistern verlassen? Den eigenen Landesherrn anzugreifen! Niemals hätte es so weit kommen dürfen. Jetzt war ihnen die Rache des Herzogs sicher.
Marie stellte sich dem jungen Pfarrer in den Weg: «Ist es wirklich wahr, was erzählt wird? Dass sich die Remstäler zum Kampf gegen die herzoglichen Truppen rüsten?»
Seit Tagen war im Dorf von nichts anderem mehr die Rede, als dass das Amt Schorndorf ganz in den Händen der Aufrührer sei. Wie schon einmal hätten die Männer aus den umliegendenDörfern Tore und Mauern besetzt, doch dessen nicht genug, sammelten sich die Männer in einem riesigen Feldlager bei Beutelsbach, um sich notfalls mit Waffengewalt gegen die Huldigung des Vertrags zu wehren. Über tausend Mann hätten sich dort inzwischen verschanzt und verhagt, täglich würden es mehr. Weitere mächtige Heerlager dieser Art gebe es bereits in Metzingen und am Leonberger Engelberg, und allerorten sei die Enttäuschung der Bauern in offene Gewalt umgeschlagen. Nicht mehr nur gegen die Obrigkeit richtete sich neuerdings die Wut, sondern gegen den Landesherrn selbst. Man forderte gar, den Herzog außer Landes zu jagen und statt seiner den Halbbruder Georg als Regenten einzusetzen.
Was Marie aber am meisten ängstigte: Auch Herzog Ulrich schien ernst machen zu wollen. Es hieß, er sammle mächtige Truppen um sich.
Casimir Muthlein blinzelte gegen die Sonne. «Es ist wahr. Die Männer des Armen Conrad scheinen zum Äußersten bereit. Und Herzog Ulrich wohl leider auch. Du machst dir sicher Sorgen um deinen Vitus?»
«Bitte, Herr Pfarrer, sagt mir alles, was Ihr wisst.»
«Nun – die Bauern sind ganz offensichtlich zum Kampf entschlossen und haben sich nach dem Vorbild des Landesaufgebots organisiert, in regelrechten Fähnlein mit Hauptmann, Rottmeister, Feldwebel und Fähnrich. Von den Remstälern hab ich gehört, dass sie, sobald ausreichend viele beisammen sind, das benachbarte Waiblingen einnehmen wollen, um von dort Richtung Stuttgart zu ziehen, vereinigt mit den Leonberger Fähnlein. Ich fürchte, bald wird es bitterernst, denn die verbündeten Truppen des Herzogs sind ebenfalls im Anmarsch.» Er schüttelte den Kopf. «Das wird ein Kampf Davids gegen Goliath. Niemals hätte man es so weit kommenlassen dürfen.»
Marie fragte sich, ob Muthlein damit die Aufständischen oder ihren Landesherrn meinte. Am nächsten Morgen jedenfalls, während des Sonntagsgottesdienstes, predigte Muthlein
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