Das Mädchen von San Marco (German Edition)
dort Zuflucht gesucht hat. Oder die Steine sind Teil einer Mitgift von einer dieser armen Novizinnen«, spekulierte Paul. Dann kam ihm ein Gedanke. »Ist sie es womöglich auch, die diesen großen Diamanten verkauft hat, von dem alle Welt spricht? Der Blaue Stein des Sultans? Habt Ihr von ihm gehört?«
»Natürlich habe ich von ihm gehört. Wenn Ihr mir den bringt, Engländer, dann kommen wir ins Geschäft.« Prosperos Augen leuchteten. »Ich würde viel dafür geben, ihn nur einmal in den Händen zu halten. Fast einhundert Karat soll er haben. Wisst Ihr, wie viel das ist?« Er hielt die geballte Faust in die Höhe. »Fast so groß. Und dann diese Farbe: ein echtes Blauweiß, womit wir das exquisiteste Weiß meinen, das einen ganz leichten bläulichen Schimmer aufweist. Stellt Euch vor, Engländer, welch eine Schönheit – ein Diamant von der Farbe des Mondes!« Prospero seufzte tief auf. »Aber nicht deshalb sprechen die Edelsteinhändler von nichts anderem mehr. Über die Jahre haben viele große Steine ihren Weg zur Lagune oder aus ihr hinaus gefunden. Das Bemerkenswerteste an diesem Stein ist sein brillanter Schliff. Man sagt, er habe fast doppelt so viele Facetten, wie unsereiner schleifen könnte. Was für ein Licht! Was für ein Glanz! Welches unbekannte Genie hat dieses Wunderding nur geschaffen?« Prospero schüttelte den Kopf. »Keiner weiß es.«
»Was glaubt Ihr, woher dieser Diamant stammt?«
»Der Stein selbst? Fast sicher aus Indien, aus einer der großen Minen von Golconda. Manche behaupten, er sei einst das Auge eines Götzen in einem ihrer heiligen Tempel gewesen, aber diese großen Steine« – Prospero spreizte die Finger beider Hände –, »sie kommen und gehen, sie ändern ihren Namen, niemand weiß es je mit Sicherheit.«
»Ammenmärchen, Prospero.«
»Nein, Engländer!« Obwohl sie allein im Raum waren, senkte Prospero die Stimme. »Das sind keine Ammenmärchen! Diamanten haben viele mystische Kräfte, das hat man schon immer gewusst. Aber der Blaue des Sultans ist … anders. Es hat noch nie einen Diamanten oder überhaupt einen Edelstein wie ihn gegeben.« Prospero sprach im Flüsterton, als jagten ihm seine eigenen Worte Angst ein. »Ich habe gehört, dass dieser Diamant vieles bewirken kann. Wird er aus freien Stücken verschenkt, verleiht er dem Träger großen Schutz. Für einen guten Menschen kann er viel Gutes bewirken, doch bei einem bösen gilt das Gegenteil. Man sagt, er trüge eine magische Inschrift in der Sprache der Moguln …« Er blickte auf und sah Pauls skeptische Miene. »Bah!« Angewidert wedelte Mendoza mit der Hand und schob Paul fort. »Ihr hört nie auf mich, Engländer, warum verschwende ich überhaupt meinen Atem an Euch?«
»Ihr würdet mir demnach einen guten Preis bieten, Prospero, sollte ich auf einer meiner Reisen über ihn stolpern?«
Aber Prospero war nicht in der Stimmung für Neckereien. »Nein, Engländer, ich will den Blauen des Sultans nicht. Niemals!« Seine Stimme war wieder lauter geworden. »Einen Blick auf ihn werfen, um seine Schönheit zu bewundern – o ja. Davon träumen wir doch alle. Aber mehr nicht. Und Ihr werdet nicht viele Händler finden, die sich mit ihm abgeben. Von einem Stein wie diesem lassen wir alle lieber die Finger.«
»Warum sagt Ihr das?«
Prospero scharrte unbehaglich mit den Füßen. »Der Stein wandert weiter.« Er wich Pauls Blick aus.
»Was?«
»Ich sagte, der Stein wandert weiter.« Ungeduldig warf Prospero seinen langen Bart über die Schulter. »Habt Ihr denn kein einziges meiner Worte begriffen? Glaubt Ihr, dass ein magischer Stein wie dieser gekauft und verkauft werden kann? Nein, sage ich, und wer es versucht, dem wird es schlecht ergehen.«
Prospero wandte sich ab und schlurfte zur Tür, aber kurz davor blieb er unschlüssig stehen und drehte sich noch einmal um.
»Wenn Ihr es unbedingt wissen wollt: Es war ein Herr, keine Dame, der den Blauen verkauft hat. Es heißt, er sei aus Konstantinopel gekommen.«
»Was ist aus dem Mann geworden?«
»Das weiß niemand. Er brachte den Stein hierher ins Ghetto, um ihn schätzen zu lassen, aber kein Händler hätte das Geld gehabt, einen Stein wie diesen zu kaufen, selbst wenn er es gewollt hätte. Ich glaube auch nicht, dass er ihn verkaufen wollte. Ein Bekannter von mir bot ihm an, den Stein für ihn sicher zu verwahren – man will schließlich nicht mit einem solchen Wertgegenstand in der Tasche durch die Stadt spazieren –, und bot auch an, in
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