Das Mädchen von San Marco (German Edition)
war auch fort …« Francesco stieß ein heiseres Geräusch aus, das ebenso ein Husten wie ein Lachen sein konnte. »Du hast es sicher gehört?«
»Ich habe es gehört, ja.«
Aber was genau? Paul kramte in seinem Gedächtnis. Irgendetwas über eine Frau, einen Streit beim Würfeln oder Kartenspiel? Francesco hatte jemanden getötet, so viel war sicher.
Francesco deutete Pauls Stirnrunzeln richtig und zuckte die Achseln. »Eine Hure, sie hat mir nichts bedeutet.« Er klang gleichmütig, aber das helle Mondlicht verriet die Anspannung. »Du weißt, wie das ist. Vier Jahre hat sie mich gekostet, vier volle Jahre im Exil. Und ich kann mich inzwischen nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern. So wenig wie an den von dieser anderen Kurtisane, zu der wir als junge Männer gegangen sind. Weißt du noch? Wie hieß sie doch gleich?«
Paul schwieg. Dann sagte er betont unbeteiligt:
»Constanza?«
»Constanza. Natürlich. Ich hatte es vergessen.«
Constanza vergessen? War das möglich? Sie hatten sich wegen Constanza damals entsetzlich gestritten. Der Kampf um ihre Zuneigung hatte sogar so heftig getobt, dass sich ihre Freundschaft nie vollständig davon erholt hatte.
»Siehst du sie noch?«
»Von Zeit zu Zeit.«
»Sie muss jetzt alt sein. Nichts ist so widerlich wie eine alte Hure, findest du nicht?«
Als Paul nicht antwortete, zuckte Francesco die Achseln. »Na, wie du gesagt hast, es ist lange her. Komm, gehen wir ein paar Schritte.«
Er nahm Paul am Arm und dieser ließ sich von dem Jugendfreund mitziehen. Die verwinkelten Gassen und calli waren menschenleer und totenstill. Das Mondlicht glänzte auf den ölig schimmernden schwarzen Kanälen.
»Wohin willst du zu dieser späten Stunde?«
»Das fragst ausgerechnet du?« Francesco stieß wieder sein heiseres Lachen aus. »Was glaubst du? Wohin geht man wohl mitten in der Nacht?«
»Ich spiele nicht mehr, Francesco, wenn es das ist, was du vorhast.« Paul war selbst erstaunt, wie entschieden er klang.
»Du spielst nicht mehr?« Francesco warf ihm einen raschen Seitenblick zu. »Da habe ich aber etwas anderes gehört …« Er brach ab.
»Nun ja, das stimmt.«
»Seit wann hast du aufgehört?«
»Seit heute.«
Francesco lachte. »Oh, ich sehe, das haben also diese blauen Flecken zu bedeuten.« Als Paul nicht reagierte, lachte er noch lauter. »Schon gut, du musst mir nichts erzählen, wenn du nicht willst, ich kenne mich aus.« Vertraulich beugte er sich zu Paul hinüber, der seinen weingeschwängerten Atem roch. Und daneben die säuerlichen Ausdünstungen eines Mannes, der seit Tagen nicht geschlafen und sich nicht gewaschen hat. »Dann also auf einen Becher Wein?«
»Ich habe auch das Trinken aufgegeben.« Die Aussicht auf eine weitere Nacht wie die vorige verursachte Paul Übelkeit. Aber Francesco ignorierte seinen Einwand.
»Ich kenne den passenden Ort. Ein Bekannter von mir – der Cavaliere – hat kürzlich ganz in der Nähe ein kleines ridotto eingerichtet. Hast du den Cavaliere schon kennengelernt?«
»Nein, ich glaube nicht.«
Als Francesco sah, dass Paul zögerte, bemühte er sich, seine Zweifel zu zerstreuen. »Ich versichere dir, es ist ein sehr gutes Etablissement, anders als manche dieser neuen casini . Der Cavaliere lässt alle zu, sofern sie ein Empfehlungsschreiben vorweisen können – und vorausgesetzt, sie sind kreditwürdig.« Francesco grinste, wobei erneut seine schwarzen Zähne zum Vorschein kamen. »Komm mit, ich werde dich bei ihm einführen. Nach all den Jahren ist es das Mindeste, was ich für dich tun kann.«
Paul fragte sich, wie viel Carew, der immer noch im Schatten des kleinen passaggio auf ihn wartete, von ihrem Gespräch belauscht hatte. Wie konnte er Francesco mit Anstand loswerden? Etwas an dem alten Freund, etwas Fiebriges, Animalisches, stieß ihn ab. Doch da er keine Chance sah, sich von Francesco zu befreien, würde er ihm mit Carew einfach folgen. Er hatte zwar Ambrose sein Wort gegeben, dass er nicht mehr spielen würde, aber ein paar Schlucke Wein konnte er schließlich aus reiner Höflichkeit mit Francesco trinken und sich dann verabschieden.
»Dir zuliebe, mein alter Freund«, sagte er gut gelaunt. »Nur einen Becher, um der alten Zeiten willen.«
Nur einen Becher im neuen ridotto, dachte Paul. Das konnte doch nicht schaden.
Kapitel 14
Das ridotto , das Francesco zügig ansteuerte, lag über einer Weinhandlung in der Calle dell’Astrologo gleich hinter dem Canal Grande.
Als junger Faktor in
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