Das Mädchen von San Marco (German Edition)
legte Paul Franceso die Hand auf den Arm, doch dieser entzog sich ihm ungeduldig. »Geh jetzt, geh nach Hause, solange du noch kannst. Dein Diener wartet auf dich.«
Auf Francescos Zeichen hin kam Carew näher und versuchte, Paul am Ärmel zu fassen, aber nun machte sich der Wein bemerkbar und Paul schüttelte ihn ruppig ab.
»Bitte! Francesco, kannst du nicht mit ihm reden? Rede mit Memmo, tu es für mich!«, bat Paul Francesco noch einmal flehentlich, und nach kurzem Zögern gab dieser nach.
»Wenn ich es erreiche, dass du den Diamanten zu sehen bekommst, gehst du dann nach Hause?«
»Ja.«
Francesco zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. »Habe ich dein Wort?«
»Du hast mein Wort.«
»Du gibst mir dein feierliches Versprechen, bei deiner Ehre?«
»Feierlich und bei meiner Ehre. Himmel, Francesco, was willst du denn noch?«
»Dann komm mit.«
Francesco zog Paul zu dem geschlossenen Vorhang, den er leise zur Seite schob.
Mit Carew dicht auf den Fersen trat Paul durch die Tür. Vor ihm lag ein achteckiger Raum. Er besaß keine Fenster, so dass alle, die hier spielten, nicht wissen konnten, ob draußen Tag war oder Nacht. An allen Wänden hingen bodenlange Spiegel, die das Licht der vielen Kerzen in den Wandleuchtern reflektierten. Man wähnte sich im Inneren eines wundersamen Schatzkästleins.
In der Mitte stand ein Tisch, an dem die Spieler saßen, zwei Männer und eine Frau. Ein vierter Spieler lag, offenbar schlafend, in seinen Umhang gewickelt, auf dem Fußboden. Der Tisch war aus einem tiefdunklen, fast schwarzen Holz gezimmert und reich mit Perlmuttintarsien verziert, dasselbe galt für die Stühle.
Zuanne Memmo stand mit dem Rücken zur Tür. Er dreht sich um, als er Paul hereinkommen hörte, und statt Unmut erkennen zu lassen, wie Paul befürchtet hatte, tat er mit einem stummen Nicken seine Zustimmung kund. Der Maskierte, den er zuvor hineinbegleitet hatte, verharrte neben dem Tisch und beobachtete weiter das Spiel. Anders als im großen Salon, in dem fast völliges Schweigen herrschte, schien in diesem Raum eine gedämpfte Unterhaltung erlaubt zu sein.
»Schau«, flüsterte Francesco Paul ins Ohr, »schau auf Memmo.«
Memmo holte aus dem Kabinett hinter sich ein kleines Beutelchen aus rosafarbenem, mit Silberbrokatfäden besticktem Samt. Er öffnete es und schüttelte es leicht, und als er es über seine Hand hielt, rollte ein Gegenstand heraus, der etwa so groß war wie eine Kinderfaust.
»Dann ist es also wirklich wahr«, hörte Paul den Maskierten hingerissen flüstern.
»Was habt Ihr erwartet?«, antwortete Memmo. »Der Blaue Stein des Sultans. Natürlich ist es wahr.«
Er hielt den Stein zwischen Zeigefinger und Daumen und hob ihn hoch, sodass alle ihn betrachten konnten. Die Spieler unterbrachen ihr Tun, und Stille senkte sich über den Raum. Der Stein funkelte im Kerzenlicht wie eine kleine Sonne aus blauem Feuer und Eis, deren Helligkeit die Wandspiegel hundertfach zurückwarfen. So geheimnisvoll, so schön und rar, dachte Paul, wie ein Ding aus einer anderen Welt.
Der Maskierte trat näher, um den Stein genauer in Augenschein zu nehmen.
»Da steht etwas geschrieben …«
»Eine Inschrift. Man sagt, sie ist in der Sprache der Moguln verfasst.«
»Was bedeutet es?«
»Wer weiß?«, erwiderte Memmo lächelnd. »Ich habe noch keinen Spieler gefunden, der diese Sprache beherrscht.«
Er wollte den Stein gerade in das Kabinett zurücklegen, als Paul sich zu Wort meldete.
»Lasst es mich versuchen.«
Memmo warf ihm einen verwunderten Blick zu, als habe er ihn nicht verstanden.
»Ich sagte: Würdet Ihr mir gestatten, es zu versuchen?«
Memmo zögerte kurz, doch dann hielt er Paul mit einem charmanten Lächeln den Stein hin.
»Aber gewiss doch, Signor Pindar. Dies ist in der Tat eine Überraschung. Ich wusste nicht, dass wir einen Gelehrten unter uns haben.«
Paul nahm ihm den Stein ab. Bei der Berührung des Diamanten hatte er das Gefühl, als vibrierten seine Finger, als hielte er etwas Lebendiges in der Hand. Er spürte seine Größe und sein Gewicht. Der Stein schmiegte sich in seine Faust, die ihn eng umschloss wie eine eigens gefertigte Hülle. Paul hielt den Diamanten in die Höhe, wie er es bei Memmo gesehen hatte, und ließ sein seltsam bleiches Licht in tausend Facetten aufscheinen. Von Nahem erkannte er noch besser, mit welcher Kunstfertigkeit der Stein geschliffen worden war und dass eine der Facetten auf der oberen Seite größer war als die anderen. Und wahrhaftig,
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