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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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Diensten von Kaufmann Parvish hatte Paul in Venedig Dutzende solcher Orte aufgesucht: improvisierte Spielhöllen über Gasthäusern oder Läden, in denen Männer Karten spielten, dem Glücksspiel nachgingen und dabei häufig große Summen verloren. So war er keineswegs überrascht, als Francesco sie durch den Hintereingang eines leeren Ladengeschäfts einließ und zu einer Tür hinter der Theke führte, hinter der sich eine engen Treppe ins obere Stockwerk wand.
    Francesco ging über die Stufen voran, Paul und Carew folgten. Oben fanden sie sich in einem großen Raum wieder, der, wie sie im hellen Mondlicht erkannten, ebenso leer war wie der untere. Am hinteren Ende befand sich mitten in der splitternden Wandtäfelung eine einzelne Stufe mit einer winzigen Tür. Die Tür war so klein, dass sich Paul zunächst kaum vorstellen konnte, dass dahinter etwas anderes als ein Wandschrank oder allenfalls eine Dachkammer lag. Doch als Francesco anklopfte, öffnete sie sich wie geölt, und die drei Männer traten über die Schwelle in eine Art Vestibül, nur wenige Quadratmeter groß, an dessen gegenüberliegender Seite eine zweite, deutlich größere Tür zu sehen war: ein geheimer Durchgang vom ersten Obergeschoss der Weinhandlung direkt in das angrenzende Haus.
    Hier schien Francesco zum ersten Mal Carew wahrzunehmen. Er runzelte die Stirn und blickte Paul fragend an. »Dein Diener? Kann er den Mund halten?«
    »Ja, ich verbürge mich für ihn«, versicherte Paul, »aber was ist das hier, Francesco? Wo sind wir?«
    Durch die Tür, vor der sie standen, drang kein Geräusch. In dem gesamten Gebäude war es fast unheimlich still, sodass Paul einen verrückten Moment lang glaubte, sie befänden sich überhaupt nicht in einem ridotto . Sollte man sie absichtlich getäuscht haben? In diesem winzigen Vorraum säßen er und Carew wie die Ratten in der Falle. Paul spürte, wie sich sein Pulsschlag beschleunigte. Sie waren offenbar ganz allein an diesem seltsamen Ort.
    Doch gerade als er sich fragte, welcher Aberwitz ihn dazu verleitet hatte, seinem alten Freund hierher zu folgen, hörte er Francescos Antwort. »Du fragst, was das ist? Das, mein Freund, ist ein ridotto, wie du in deinem ganzen Leben noch keines gesehen hast.«
    Noch während er sprach, schwang die zweite Tür auf wie von Geisterhand, und diesmal standen sie geblendet auf der Schwelle des piano nobile eines großen Palazzo, das von Kerzen taghell erleuchtet war. An den Wänden prangten kostbare Gemälde, vor den Fenstern wellten sich schwere, mit Quasten besetzte Vorhänge aus üppigem Samt, und von der Decke hing ein riesiger Kronleuchter aus feinstem Murano-Glas. Doch am merkwürdigsten mutete sie an, dass dieser stille Raum voller Menschen war.
    Männer und Frauen, einige von ihnen maskiert, standen in Gruppen zusammen oder bewegten sich schweigend zwischen den Tischen hin und her. Die Männer hielt Paul für junge Adlige und Kaufleute, die Frauen waren fast ausschließlich Kurtisanen, deren Lippen und Wangen mit karmesinroter Farbe bemalt waren, wie es neuerdings in Venedig unter solchen Frauen der Brauch war.
    Alle waren nach der neuesten Mode gekleidet – steife Brokatstoffe in Edelsteinfarben fielen gefältelt von gepolsterten, spitz zulaufenden Miedern. Die Corsagen waren tief angesetzt und ließen bloße Brüste bis zu den Brustwarzen erkennen. Die ungewöhnlich hohen Stehkragen bestanden aus feinster, gestärkter point-de-Venise- Spitze, die fast durchsichtig war und sich im Nacken auffächerte wie eine Halskrause aus Pfauenfedern. Die Haare trug man in der Mitte gescheitelt und zu zwei merkwürdig hornähnlichen Gebilden zusammengedreht. In einer der Frauen erkannte Paul eine Freundin Constanzas. Als sie ihn bemerkte, küsste sie die Spitze ihres Fächers und neigte ihn lächelnd in seine Richtung.
    An allen mit dickem Samt belegten Tischen saßen vier oder mehr maskierte Spieler, die ihre Karten von einem Mann am Kopfende erhielten. Neben diesem standen zwei Kerzen und zwei Becher, einer voller Golddukaten und einer voller Silber. Auch mehrere Päckchen Spielkarten lagen bereit. Die Zuschauer, bemerkte Paul, stellten sich in Grüppchen hinter die Spieler, sahen ihnen für ein Weilchen über die Schulter, und gingen dann zum nächsten Tisch weiter. Gelegentlich vernahm man ein gedämpftes Flüstern oder Husten, Gläser klirrten oder die Robe einer Dame raschelte leise, wenn sie über den Fußboden streifte. Ansonsten herrschte tiefe Stille, was die

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