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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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da war in winziger Schrift etwas eingraviert, genau wie Prospero gesagt hatte.
    Nach und nach entzifferte Paul die Inschrift. Das war doch nicht möglich … Seine Nackenhaare sträubten sich.
    »Was steht da?«
    »Da steht A’az ma yutlab .«
    »Was bedeutet das?«
    »Es bedeutet ›mein Herzenswunsch.‹«
    Wer immer diesen Stein besaß, dessen Herzenswunsch würde in Erfüllung gehen.
    In diesem Augenblick wusste Paul, dass er ihn um jeden Preis haben musste – ganz gleich, wie hoch dieser Preis war.

Kapitel 15
    Als Strafe dafür, dass sie sich in ihrer Zelle verbarrikadiert hatte, befasste sich nicht Suor Virginia mit Annetta und auch nicht Suor Purificacion, die normalerweise disziplinarische Maßnahmen übernahm, sondern die Ehrwürdige Mutter Oberin, Suor Bonifacia, höchstpersönlich.
    Annetta hatte nur einmal mit Suor Bonifacia gesprochen, seit sie wieder in das Kloster eingetreten war, und zwar, als man sie am Tag ihrer Ankunft formell willkommen hieß. Seit diesem Tag hatte sie sie nur einige wenige Male zu Gesicht bekommen, gewöhnlich an Feiertagen und wenn es der Gesundheitszustand der alten Nonne zuließ, dass sie an den Gebeten in der Kapelle teilnahm. Die Äbtissin war so alt und so oft unpässlich – geistesschwach, wie manche meinten –, dass sie kaum noch ihre Räumlichkeiten verließ. Zumindest die jüngeren Nonnen hatten den Eindruck, dass die Leitung des Klosters schon nicht mehr in ihren Händen lag. Und doch wurde ihr von den Nonnen eine beträchtliche Wertschätzung entgegengebracht, was allerdings, wie Annetta sehr bald herausgefunden hatte, deutlich mehr der Höhe ihrer Mitgift zu verdanken war (sowie der Tatsache, dass sie mindestens vier Dogen zu ihrer Familie zählte), als einer herausragenden Affinität zu spirituellen Reichtümern.
    Die Privaträume der Äbtissin befanden sich am äußersten Ende des Klosters, gegenüber von Annettas Dormitorium. Als sie anklopfte, wurde sie sogleich von einer Frau eingelassen, die zu ihrer Überraschung keine Nonnentracht trug, auch nicht die Gewänder einer conversa, sondern die Kleidung eines gewöhnlichen Dienstmädchens. Das Zimmer war groß und hatte mehrere hohe Fenster mit Blick auf den Garten. In einer Ecke befand sich ein großer Kamin, in dem trotz der Jahreszeit ein Feuer brannte.
    »Tretet bitte ein, suora« , ertönte eine Stimme, und erst da bemerkte Annetta die Äbtissin. Klein und vogelähnlich saß sie am anderen Ende des Zimmers an einem der geöffneten Fenster, an das man für sie einen Stuhl geschoben hatte. Das Dienstmädchen hatte offensichtlich der alten Dame beim Ankleiden geholfen – die Nonnentracht war vollständig, nur der Kopf war unbedeckt und das Haar fiel der Nonne offen um die Schultern. Annetta sah, dass es nicht kurz geschnitten war, wie es die Ordensregel verlangte, sondern wie ein silbernes Tuch, fein und dünn, bis zur Mitte des Rückens hinabhing.
    »Habt keine Angst, tretet ein und setzt Euch zu mir.« Die alte Dame schien es nicht zu stören, dass man sie in diesem Zustand sah, und sie klopfte leicht auf einen zweiten Stuhl, der dem ihren direkt gegenüberstand. Annetta näherte sich respektvoll und setzte sich wie geheißen. Das Dienstmädchen stellte sich hinter Suor Bonifacia und fuhr fort, deren Haar zu kämmen.
    Annetta schaute sich um. Das Zimmer war ausgestattet wie der Privatsalon einer Adligen. Verschiedene Gobelins und Wandbehänge aus edlem Damast und Samt schmückten die Wände. Ein Gemälde, das Mariä Verkündigung darstellte, mit Verzierungen aus glänzendem Blattgold an den Engelsflügeln, hing über dem Kaminsims. Auf einem Tisch neben dem Kamin lagen eine Anzahl ledergebundener Bücher, deren Rücken ebenfalls mit Blattgold verziert waren, mehrere Schreibfedern und Papier, Siegel und Siegelwachs. Zwei Truhen, größer und schwerer als Annettas und wunderschön mit Jagdszenen bemalt, standen auf beiden Seiten des Zimmers.
    »Ihr betrachtet meine cassa, wie ich sehe.« Obwohl Suor Bonifacia dies in ernstem Tonfall äußerte, meinte Annetta einen amüsierten Blickwechsel zwischen ihr und der Dienerin aufzufangen. Trotz ihres hohen Alters besaß die Äbtissin die sanfte, klare Stimme einer Frau, die es von Jugend an gewohnt war, Befehle zu erteilen. »Mir wurde gesagt, dass Ihr genauso eine habt, stimmt das?«
    Annetta war darauf vorbereitet gewesen, ihre Sache entschieden zu vertreten, aber die Freundlichkeit der Äbtissin entwaffnete sie so vollständig, dass sie sich stattdessen

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