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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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dabei ertappte, wie sie mit ungewohnter Sanftmut erwiderte: »Ja, Ehrwürdige Mutter.«
    »Suor Purificacion scheint das großen Kummer zu bereiten.«
    Annetta war sich unsicher, wie sie diese Bemerkung auffassen sollte, und murmelte deshalb ein zweites Mal: »Ja, Ehrwürdige Mutter«. Sie machte sich auf die Strafpredigt gefasst, die mit Sicherheit folgen musste. Um Stolz und Ungehorsam würde es gehen.
    Aber zu ihrer Überraschung schien der Gedanke an Annettas Ungehorsam die Äbtissin nicht weiter zu beschäftigen. Sie ließ den Blick aus dem Fenster schweifen.
    »Schaut Euch meine Aussicht an – sie ist herrlich, nicht wahr? Wenn Ihr wisst, wo Ihr hinschauen müsst, durch die Pappeln da drüben, könnt Ihr von hier aus die Lagune sehen.«
    Annetta bewunderte den Ausblick und überlegte, ob Suor Bonifacia wohl wusste, dass sie von ihrem Fenster aus einen ganz ähnlichen hatte. Aber während man von dort nach Süden blickte, auf die Gemüsegärten, die zu den Küchen gehörten, konnte man von dem Fenster der Äbtissin aus den geometrisch angelegten Heilkräutergarten mit seinen kunstvoll geformten Beeten sehen. Etwas seitlich davon erkannte sie die Lindenallee, den von hohen Hecken gesäumten Pfad, die Grotte mit dem Springbrunnen und den Karpfenteich, in dessen Oberfläche sie das Spiegelbild des monarchino zum ersten Mal gesehen hatte. Bei der Erinnerung an ihn krampfte sich ihr Herz zusammen.
    »Wisst Ihr, wie lange ich hier schon sitze?«
    Die Äbtissin wies mit einer Hand, die so knorrig war wie ein Stück Eiche, in Richtung Fenster und Garten.
    Erwartete sie eine Antwort? Annetta war sich nicht sicher. Als sie schwieg, lächelte die Äbtissin sie an.
    »Sechzig Jahre!« Die alte Dame lachte kurz auf. »Sechzig Jahre sitze ich schon hier. Ich war vor allen anderen da, vielleicht mit Ausnahme von Virginia und Margaretta, und sie sind mit acht Jahren hergekommen. Stellt Euch das vor, ein ganzes Leben innerhalb dieser Klostermauern! Kein Ehemann, keine Kinder, nur der Garten.« Und fast wie aufs Stichwort kamen Suor Annunciata und einige ihrer Helferinnen ins Blickfeld. Manche trugen Körbe über dem Arm, andere waren mit Hacke und Spaten ausgerüstet. Suor Bonifacia seufzte.
    »Der Garten existierte damals noch nicht. Ich war ganz am Anfang hier, wisst Ihr. Mein Bruder, der Graf, brachte uns die allerersten Pflanzen. Unsere Händler reisten schon damals um die Welt. Ein Händler, den mein Bruder kannte, gab ihm ein paar Exemplare, und er brachte sie zu mir. Er hatte den Botanischen Garten in Padua gesehen und hoffte, hier einen ähnlichen anzulegen. Seltene Pflanzen wechselten die ganze Zeit ihre Besitzer. Sie stammten von der Adria und dem Schwarzen Meer, aus dem Osmanischen Reich, Syrien, Griechenland, Tripolis, Tunis, sogar aus der Neuen Welt. Die Fritillaria imperalis. Wie Ihr seht, kann ich mich noch gut daran erinnern. Sie war die Erste – ich glaube, wir haben immer noch einen Steckling –,und dann brachten andere mehr, und nach und nach wurden wir bekannt für unseren Pflanzenreichtum. Ihr seht, ich habe ganz von Anfang an beobachtet, wie dieser Garten gewachsen ist.« Die Äbtissin seufzte noch einmal wehmütig. »Und nun findet Suor Purificacion, ich solle mich mit einem jungen Mädchen und ihrer cassa beschäftigen! Sie sind heutzutage wirklich wie die Kinder, alle miteinander. Worüber sie sich Sorgen machen!« Der Gedanke schien sie zu erheitern.
    Eine Zeitlang war es still im Zimmer. Man hörte nur das Knacken der Holzscheite im Feuer und das sanfte rhythmische Geräusch, mit dem das Dienstmädchen das Haar der Äbtissin kämmte. Als Annetta schließlich den Blick hob, sah sie, dass Suor Bonifacia die Augen geschlossen hatte und zu schlafen schien. Sie verharrte so lange reglos auf ihrem Stuhl, dass Annetta zu glauben begann, ihre Anwesenheit sei in Vergessenheit geraten. Aber dann, gerade als sie überlegte, ob sie aufstehen und gehen sollte, öffnete die Äbtissin die Augen wieder.
    » Basta, Giovanna.«
    Mit ihren langen, silbernen Haaren, die über die Schultern flossen, sah sie mehr wie eine Seherin oder eine Prophetin aus denn wie eine alte Ordensfrau.
    »Si, Contessa.«
    Das Dienstmädchen zog sich leise zurück.
    »Es gibt etwas, das ich Euch gern fragen möchte, suora« , sagte die Äbtissin leise.
    Annetta spürte, wie sich etwas Schweres auf ihre Brust legte. War es am Ende doch möglich, dass jemand – vielleicht sogar Suor Bonifacia selbst – sie gestern Morgen im Garten

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