Das Magdalena-Evangelium: Roman
ansonsten eher konservativen Äußeren einen verwegenen Touch – und machten sie ein wenig größer, was sie bei ihren knapp fünf Fuß gut gebrauchen konnte. Doch genau dieses Paar Manolos war nun der Grund für ihren Frust. Kurz dachte sie darüber nach, sie einfach auszuziehen und in die nächste Mülltonne zu werfen.
Bitte, geh noch nicht! Bitte, sei da! So rief sie in Gedanken zu Peter, während sie weiterrannte. Peter und sie waren auf seltsame Weise miteinander verbunden; das war schon in ihrer Kindheit so gewesen, und jetzt hoffte sie, dass er irgendwie spüren konnte, wie nötig sie mit ihm reden musste. Maureen hatte ihn auf konventionellerem Wege vorher anzurufen versucht, aber ohne Erfolg. Peter hasste Handys und hatte nie eines dabei, trotz ihrer vielfachen Bitten über die Jahre, und er weigerte sich grundsätzlich,auf das Läuten des Telefons in seinem Büro zu hören, wenn er in seine Arbeit vertieft war.
Maureen zog die störenden Highheels aus, stopfte sie sich in die Tasche und begann zu rennen. Sie hielt den Atem an, als sie um die Ecke zur MacGowan Hall bog, blickte zu den Fenstern im ersten Stock hinauf und begann, von links abzuzählen. Schließlich stieß sie einen erleichterten Seufzer aus, als sie Licht im vierten Fenster sah. Er war noch da.
Maureen stieg bedächtig die Treppe hinauf und ließ sich Zeit, wieder zu Atem zu kommen. Oben angelangt, wandte sie sich in den linken Gang und ging bis zur vierten Tür rechts. Peter war da. Er spähte aufmerksam durch ein Vergrößerungsglas auf ein vergilbtes Manuskript. Er fühlte Maureen mehr in der Tür, als dass er sie sah, und als er den Kopf hob, erschien ein einladendes Lächeln auf seinem wie stets freundlichen Gesicht.
»Hallo, kleine Maria! Was für eine wunderbare Überraschung. Ich habe heute Abend nicht mit dir gerechnet.«
»Hi, Pete«, antwortete Maureen mit der gleichen Wärme und trat um den Tisch, um ihn kurz zu umarmen. »Ich bin ja so froh, dass du noch hier bist … Ich hatte schon Angst, du wärst bereits weg, und ich musste dich unbedingt sehen.«
Peter hob die Augenbrauen und dachte einen langen Augenblick lang nach, bevor er erwiderte: »Weißt du, unter normalen Umständen wäre ich schon seit Stunden weg; aber aus irgendeinem Grund konnte ich nicht mit der Arbeit aufhören. Zunächst wusste ich nicht, warum … bis jetzt.«
Father Peter Healy tat seine eigenen Worte mit einem Schulterzucken und einem leichten, wissenden Lächeln ab. Maureen musste ebenfalls lächeln. Sie hatte die Verbindung zu ihrem älteren Cousin noch nie logisch erklären können, doch von dem Tage an, als sie damals nach Irland gekommen war, waren sie wie Zwillinge gewesen und hatten die unheimliche Fähigkeit besessen, sich ohne Worte zu verständigen.
Maureen griff in ihre Reisetasche und holte eine blaue Plastiktüteheraus, wie sie auf der ganzen Welt in Importläden verwendet wurde. Sie enthielt eine kleine rechteckige Schachtel, die sie dem Priester überreichte.
»Aaah. Lyon’s Gold Label. Wunderbare Wahl. Amerikanischer Tee schlägt mir noch immer auf den Magen.«
Maureen verzog das Gesicht und schüttelte sich zum Zeichen, dass sie sein Missfallen teilte. »Das reinste Brackwasser.«
»Nun denn. Ich glaube, der Kocher ist voll; also werden wir uns erst einmal ein Tässchen genehmigen.«
Maureen lächelte, während sie Peter dabei beobachtete, wie er sich aus dem verschlissenen, mit Leder bezogenen Stuhl erhob, um den er bei der Universitätsverwaltung so hart gekämpft hatte. Nachdem er den Ruf als Dozent an die geisteswissenschaftliche Fakultät angenommen hatte, hatte man dem geschätzten Dr. Peter Healy ein modern eingerichtetes Büro mit Aussicht zur Verfügung gestellt, einschließlich eines brandneuen und ausgesprochen funktionellen Schreibtischs mit dazu passendem Stuhl. Aber Peter hasste alles Funktionelle, wenn es um Möbel ging, und alles Moderne hasste er noch viel mehr. Also hatte er seinen unwiderstehlichen gälischen Charme eingesetzt, und es war ihm tatsächlich gelungen, den ansonsten so unbeweglichen Verwaltungsapparat in hektische Aktivität zu versetzen. Außerdem sah er dem irischen Schauspieler Gabriel Byrne verblüffend ähnlich, was Frauen stets anregte, römischer Kragen hin oder her. Die Damen der Verwaltung hatten Keller durchwühlt und nicht benutzte Seminarräume durchsucht, bis sie genau das gefunden hatten, was Peter suchte: einen abgewetzten, extrem bequemen Lederlehnstuhl sowie einen Schreibtisch
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