Das Magdalena-Evangelium: Roman
»Genau. Und nicht zu vergessen das Buch – sie wird immer mit einem Buch dargestellt.«
»Aber das könnte doch einfach die Bibel sein«, hielt Maureen dagegen.
»Könnte sein, aber ist es nicht. Maria wird mit einem Buch gezeigt, weil es ihr eigenes Buch ist, ihre Botschaft, die sie hinterlassen hat, damit wir sie finden. Und ich hoffe, wir werden anhand des Buches Einsicht gewinnen in das Geheimnis ihres ältesten Sohnes und dessen Schicksal, denn wir wissen schlicht nichts darüber. Ich hoffe, dass Maria Magdalena selber dieses Rätsel für uns lösen wird.«
Schweigend schritten sie durch den Garten, unter einem leicht bestirnten Abendhimmel. Maureen ergriff wieder das Wort. »Sie haben gesagt, es gebe noch andere Anhänger des Johannes, die keine Fanatiker sind.«
»Natürlich. Ihre Zahl geht in die Millionen. Sie werden Christen genannt.«
Maureen sah ihn zweifelnd an.
»Ich meine es ernst. Betrachten Sie nur Ihr Land: Wie viele Gläubige dort nennen sich Baptisten? Diese Christen berufen sich auf Johannes in seiner Rolle des Propheten. Die meisten nennen ihn den ›Vorläufer‹ und sehen in ihm den Mann, der Jesu Ankunft verkündete. In Europa gab es einige Familien der Blutlinie, die sich miteinander vermischten, die das Blut des Täufers mit dem Blut des Nazareners verbanden. Die berühmteste dieser Familien waren die Medici. Sie verehrten beide, Johannes und Jesus. Und auch der gute alte Sandro Botticelli gehörte dazu.«
Nun war Maureen überrascht. »Botticelli war ein Nachfahre beider Blutlinien?«
Sinclair nickte. »Sie müssen sich noch mal Sandros ›Frühling‹ anschauen. Ganz links werden Sie die Gestalt des Hermes erkennen, des Alchemisten, der seinen Heroldsstab gen Himmel hält. Seine Hand macht die ›Johannes‹-Geste, von der Tammy Ihnen erzählt hat. Sandro teilt uns in dieser Allegorie auf Maria Magdalena und die Macht der Wiedergeburt mit, dass wir auch Johannes anerkennen müssen. Dass Alchemie eine Formvon Zusammenführung ist, und Zusammenführung lässt keinen Raum für Bigotterie oder Intoleranz.«
Maureen sah ihn aufmerksam an. Allmählich wuchs ihre Bewunderung für diesen Mann, der ihr anfangs so rätselhaft erschienen war. Er war der reinste Mystiker und Dichter, ein Sucher nach spiritueller Wahrheit. Mehr als das, er war ein guter Mensch – warm, liebevoll und sicherlich sehr loyal. Sie hatte ihn unterschätzt, was ihr besonders bei seinen letzten Worten aufgegangen war.
»Es ist meine Überzeugung, dass Vergebung und Toleranz die Eckpfeiler des wahren Glaubens sind. In den letzten zwei Tagen bin ich dazu gekommen, stärker denn je daran zu glauben.«
Maureen lächelte und legte ihren Arm in den seinen, und sie gingen zurück durch den Garten. Zusammen.
Vatikanstadt, Rom
28. Juni 2005
Kardinal DeCaro hatte gerade den Hörer aufgelegt, als die Tür zu seinem Büro aufgestoßen wurde. Es erstaunte den hochrangigen Kirchendiener, dass Bischof O’Connor immer noch nicht begriffen hatte, wie unsicher seine Position hier in Rom war, aber der Mann schien völlig ahnungslos zu sein. DeCaro wusste immer noch nicht, ob es an Magnus’ Ehrgeiz oder seiner fehlenden Wahrnehmung lag. Vielleicht an beidem.
Mit vorgetäuschter Geduld und gespielter Überraschung lauschte der Kardinal dem Gebrabbel des Mannes über die Entdeckung in Frankreich. Doch dann sagte O’Connor etwas, das DeCaro aufhorchen ließ.
»Wer ist Ihr Informant?«, fragte der Kardinal, um einen beiläufigen Ton bemüht.
Magnus wand sich. »Er ist sehr zuverlässig. Wirklich!«
»Ich fürchte, ich kann das nicht sonderlich ernst nehmen, wenn Sie mir keine weiteren Einzelheiten nennen können oder wollen, Magnus. Wir bekommen hier oft Fehlinformationen geliefert und können nicht alles nachprüfen.«
Unruhig rutschte Bischof Magnus O’Connor auf seinem Stuhl hin und her. Er wagte nicht, seine einzige Quelle preiszugeben – noch nicht. Sie war der einzige Hebel, den er ansetzen konnte. Wenn er seinen Informanten verriet, würden die Offiziellen des Vatikans sich direkt mit ihm in Verbindung setzen; dann hätte O’Connor keinen Einfluss mehr auf seine Rolle in dieser brisanten Situation. Außerdem gab es noch andere außer DeCaro und dem Vatikanischen Rat, vor denen er sich zu verantworten hatte.
»Ich werde bei meinem Informanten nachfragen, ob ich seine Identität preisgeben darf«, bot Magnus an.
Kardinal DeCaro zuckte die Achseln; eine Geste, die O’Connor ärgerte. Diese lässige Reaktion auf
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