Das Magdalena-Evangelium: Roman
der Prophezeiung vorhergesagte Messias war. Sein Ruf als großer Wundertäter sowie als Heiler wuchs, ebenso seine Anhängerschaft unter dem einfachen Volk. Und viele waren zu jener Zeit geneigt, auch Maria von Magdala anzunehmen. Denn wenn der große Prophet diese Frau gewählt hatte, musste sie seiner würdig sein.
Marias Stellung jedoch bereitete ein Problem. Zu einer Zeit, in der Frauen nach der Stellung ihres Mannes angesehen wurden, nahm sie eine schwierige und politisch heikle Position ein. Es schickte sich nicht, sie als Witwe des Johannes zu bezeichnen, Isas Frau sollte sie aber auch nicht genannt werden. So wurde sie in dieser Zeit unter ihrem eigenen Namen bekannt, als Führerin ihres Volkes. Hernach würde sie allzeit herrschen als die Tochter Sions, der Turm der Herde – der Migdal-Eder. Ihr gebührte der Name einer Königin aus eigenem Recht.
Die Menschen nannten sie Maria Magdalena.
Es war jene Zeit von Jesu Wirken, unmittelbar nach der wunderbaren Speisung der Fünftausend in Tabgha, die Maria Magdalena die Große Zeit nannte. Kurz nach der Hochzeit zogen die Nazarener nach Syrien. Während der Reise heilte Isa eine erstaunliche Anzahl von Menschen. Er predigte in den Synagogen und gewann neue Gläubige für die Lehre des Rechten Weges. Doch nach einigen Monaten zog das Gefolge wieder nach Galiläa. Maria Magdalena war erneut schwanger, und Isa wollte, dass das Kind an dem Ort geboren werden sollte, der Maria der liebste war – in ihrer Heimat.
Die Rückkehr nach Galiläa bescherte Maria und Isa eine kleine, wunderschöne Tochter. Sie gaben ihr den Doppelnamen einer Prinzessin, Sarah-Tamar. Der Name Sarah beschwor die edle Hebräerin aus den Anfängen des jüdischen Volkes herauf,die Frau des Abraham. Tamar war ein in Galiläa gebräuchlicher Name – eine Anspielung auf die vielen Dattelpalmen, die in der Region wuchsen – und wurde von Königshäusern seit Generationen als Kosename für ihre Töchter benutzt.
Die edle Familie gedieh, die Werke breiteten sich aus, die Kinder Israels konnten auf die Zukunft hoffen. Es war in der Tat eine Große Zeit.
Kapitel achtzehn
Château des Pommes Bleues
28. Juni 2005
Alle schwiegen, nachdem Peter die Übersetzung des ersten Buches vorgelesen hatte. Geraume Zeit saßen sie schweigend da; jeder versuchte auf seine Art, die Ungeheuerlichkeit der Information zu verarbeiten. Alle hatten zwischenzeitlich geweint – die Männer zurückhaltend, die Frauen ganz offen beim Hören mancher Passagen von Marias Geschichte.
Endlich brach Sinclair das Schweigen. »Wie geht es jetzt weiter?«
Maureen schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll.« Sie blickte zu Peter hoch, um festzustellen, wie er die Sache bewältigte. Er wirkte erstaunlich ruhig, lächelte sie sogar an, als ihre Blicke sich trafen. »Geht’s dir gut?«, fragte sie.
Peter nickte. »Ging noch nie besser. Es ist seltsam – aber ich bin nicht entsetzt oder besorgt oder auch nur betroffen, ich bin einfach … zufrieden. Ich kann’s nicht erklären, aber so ist es.«
»Siehst ganz schön erschöpft aus«, meinte Tammy. »Aber du hast ja auch erstaunliche Arbeit geleistet.«
Sinclair und Roland schlossen sich an und dankten Peter für seine nimmermüde Arbeit an der Übersetzung.
»Warum legst du dich nicht ein bisschen hin? Kannst ja morgen mit den anderen Büchern anfangen«, schlug Maureen behutsam vor. »Wirklich, Pete, du musst dich mal ausruhen.«
Doch Peter schüttelte eisern den Kopf. »Nein. Da sind immer noch zwei Bücher – ›Das Buch der Jünger‹ und das nächste, das sie ›Das Buch der Dunklen Zeit‹ nennt. Wir müssen wohlannehmen, dass sie darin einen Augenzeugenbericht der Kreuzigung gibt. Ich habe erst wieder Ruhe, wenn ich es weiß.«
Als ihnen klar wurde, dass Peter sich nicht umstimmen lassen würde, ließ Sinclair ihm eine Kanne Tee bringen. Der Priester lehnte immer noch jegliche Nahrung ab, da er der Überzeugung war, während der Übersetzung fasten zu müssen. Also ließen sie ihn allein, und Sinclair, Maureen und Tammy begaben sich ins Speisezimmer, um ein leichtes Mahl einzunehmen. Roland sollte sich dazusetzen, doch er lehnte höflich ab und behauptete, zu viel zu tun zu haben. Er warf Tammy noch einen Blick zu, dann verließ er das Zimmer.
Sie aßen nur wenig, hatten keinen Sinn für eine üppige Mahlzeit. Immer noch fanden sie es schwierig, ihre Reaktionen auf das erste Buch in Worte zu fassen. Schließlich raffte sich Tammy zu
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