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Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Titel: Das Magdalena-Vermächtnis: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
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wie möglich zu mir, damit wir das ein für alle Mal entscheiden können.«

    Colombina begleitete Lorenzo am nächsten Tag nach Montevecchio, wo sie dem Meister zum ersten Mal begegnen sollte. Sie hatte natürlich schon viel von ihm gehört; Lorenzo verehrte ihn als den weisesten und freundlichsten aller Menschen. Er hatte Colombina gewarnt, der Meister sehe sehr alt und schroff aus, doch solche Dinge zählten für sie nicht. Colombina war eine reine Seele und erkannte das wahre Wesen eines Menschen, ohne sich um dessen äußere Erscheinung zu kümmern.
    Die vier verbrachten die erste Stunde des Beisammenseins in der Stube von Ficinos Haus. Der Meister beobachtete, wie Colombina mit Lorenzo und Ficino sprach, denn er wollte sie zunächst möglichst unbefangen erleben. Fra Francesco lächelte der kleinen Versammlung wohlwollend zu, erklärte dann aber, er wolle mit Colombina allein sprechen. Ficino entschuldigte sich und zog Lorenzo aus dem Zimmer. Sie mussten noch Vorbereitungen für die Versammlung der Platonischen Akademie treffen, die in dieser Woche stattfinden sollte.
    Als Ficino und Lorenzo fort waren, erklärte Fra Francesco: »Nun denn, mein Kind. Lorenzo hat mir erzählt, dass du von der Kreuzigung und Unserer Lieben Frau Magdalena geträumt hast. Wann haben diese Träume begonnen?«
    Colombina nickte gehorsam und berichtete. »Den ersten Traum hatte ich letztes Jahr, in der Nacht vor dem Tag, als ich Lorenzo kennenlernte. Ich erinnere mich noch so gut daran, weil es die Nacht vor meinem Geburtstag war. Ich bin weinend aufgewacht. Meine Mutter war sehr ungehalten. ›Warum weinst du an deinem Geburtstag und wo doch der Frühling beginnt?‹, fragte sie. Ich sagte ihr, ich hätte einen Albtraum gehabt, verriet ihr aber nichts über den Inhalt des Traumes. Meine Mutter ist sehr religiös. Hätte ich ihr von meinem Traum erzählt, hätte sie mich ins Kloster geschickt!«
    »Willst du mir von deinem Traum erzählen?«
    »Ja, gewiss. Ich glaube nicht, dass Ihr mich in ein Kloster stecken würdet!« Colombina lachte.
    Fra Francesco lächelte. »Das verspreche ich dir.«
    »Nun, im meinem Traum sehe ich Jesus am Kreuz. Es regnet heftig. Ich sehe Maria Magdalena am Fuß des Kreuzes. Sie weint ganz furchtbar, und ich fange auch an zu weinen. Noch ein paar andere Frauen sind dort: die Gottesmutter und die anderen Marien. Alle weinen, aber keiner Frau kann ich es so nachfühlen wie Magdalena. Ich …« Colombina hielt einen Moment inne und schaute auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen. Sie zögerte,jenen Teil ihres Traumes zu erzählen, der sie unwiderruflich ins Kloster bringen konnte.
    »Sprich weiter, mein Kind. Von mir hast du nichts zu befürchten.«
    Colombina schenkte dem Alten ihr strahlendes Lächeln, das jeden verzauberte. »Ich weiß, Meister. Ich wusste es von dem Moment an, als ich den Fuß über die Schwelle Eures Zimmers gesetzt habe. Es ist nur … der nächste Teil meines Traumes ist nicht so einfach zu erklären. Denn ich fühle im Traum das, was Magdalena fühlt. Ich fühle es so deutlich, als wäre ich sie … und dennoch weiß ich, dass ich nicht Magdalena bin. Aber es ist so, als wollte sie, dass ich ihre Gedanken und Gefühle kenne, und irgendwie gelingt es ihr, sie mir mitzuteilen. Es wäre seltsam genug gewesen, diesen Traum nur einmal zu haben, ich aber hatte ihn dreimal.«
    Fra Francesco nickte. »Ein außergewöhnlicher Traum, meine kleine Taube. Ein gesegneter Traum. Hast du in dem Traum auch die römischen Soldaten gesehen? Ihre Gesichter?«
    Colombina schüttelte den Kopf. »Nur ganz undeutlich. Ich weiß, dass sie dort sind, aber ich sehe sie nicht. Ich sehe vor allem Magdalena.«
    Der Meister nickte zufrieden. Colombina hatte denselben Traum von der Kreuzigung gehabt, den alle Verheißenen vor ihr gehabt hatten. Und wenn sie die Gesichter der römischen Soldaten nicht hatte erkennen können – umso besser: Dann musste er nicht erklären, warum das Gesicht des Gaius Longinus eine jüngere Version seines eigenen Gesichts war, über dessen linke Wange eine hässliche Narbe verlief.
    Es gab keinen Zweifel: Colombina war eine echte Tochter der heiligen Prophezeiung. Und wie alle Prophetinnen der Blutlinie sah sie Magdalena nicht nur, sondern fühlte auch, was diese fühlte. Aber wie sollte man Colombina von ihren Eltern fort bekommen und ihr die angemessene Unterweisung durch den Orden zuteil werden lassen? Welche Rolle konnte diesesMädchen spielen, wenn es nicht Lorenzo heiratete,

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