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Das Mal der Schlange

Das Mal der Schlange

Titel: Das Mal der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Oliver
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sie meinen.“
    Sie sahen ihnen nach, als sie gemessenen Schrittes ohne einander zu berühren durch den Regen zum Ausgang gingen, fast schlendernd, wie an einem sonnigen Tag, unwirklich zwischen den Grabkreuzen.
    Niemand wollte etwas sagen, zu verwirrt waren sie durch den Auftritt des attraktiven Gentlemans, der so bestimmt in seinem Anliegen gewesen war, Emmaline mit sich zu nehmen.
    „ Sie sehen aus wie ein Liebespaar“, flüsterte Charlotte schließlich, in ihre Stimme lag keine Missbilligung.
    „ Tatsächlich“, pflichtete Louise ihr nachdenklich bei.“Und ich hoffe, das sind sie auch“, damit zog sie Robert mit sich, ohne Jacobs Grab auch nur mehr eines Blickes zu würdigen.

15.

    1961
    Las Vegas
    USA

    „ Oh mein Gott, sie wusste es!“, Amelia fuhr hoch, „Louise! Sie wusste Bescheid darüber, dass Jacob dich misshandelte! Nicht wahr?“
    Emmaline nickte, „Ja, sie hatte einmal ein paar Blutergüsse gesehen, als ich zu unaufmerksam gewesen war, sie zu bedecken. Da schöpfte sie Verdacht. Dann noch die ständigen Verletzungen, Brüche, Schnittwunden – sie fragte mich eines Tages ganz direkt, wie lange ich noch zulassen wollte, dass Jacob mich schlägt. Ich konnte ihr nichts vormachen. Also habe ich ihr die Wahrheit gesagt. Dass er mich nicht nur schlug, sondern auch vergewaltigte und dass ich ihn wahrscheinlich töten müsste, damit es aufhört.“
    „ Wie hat sie darauf reagiert?“, fragte John.
    „ Sie sagte, wenn du es nicht bald tust, dann mache ich es. Das war kurz bevor ich Nathaniel kennenlernte. Danach hatte ich keine Gelegenheit mehr, mit ihr zu sprechen, ich sah sie erst bei der Beisetzung wieder. Aber als sie mich ansah, war mir sofort klar, dass sie wusste, dass ich es getan hatte - und es nicht nur billigte, sondern gut hieß. Sie kannte mich einfach am besten. Deshalb hatte sie auch sofort bemerkt, dass zwischen Nathaniel und mir eine besondere Beziehung bestehen musste.“
    „ Ah, Nathaniel“, Amelia seufzte, „Dieser Mann war vermutlich der schönste, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Ich erinnere mich noch genau an sein Gesicht. Besonders an seine Augen. Obwohl sie grün waren, sahen sie doch irgendwie aus, wie die deinen – ich glaube, das lag an dem Funkeln darin.“
    Nicholas warf ihr einen ärgerlichen Blick zu, aber sie ließ sich davon die Erinnerung nicht vertreiben.
    „ Was ist schon ein schönes Gesicht“, brummte er, „Man sieht ja, was er ihr angetan hat.“
    „ Ach ja? Was hat er ihr den angetan? Ich sehe eine junge Frau in einem jungen Körper. Sie ist so schön wie nie zuvor, stark und unsterblich! Sie ist das perfekte Gegenstück zu Nathaniel. Hell und strahlend. Sie sieht aus wie ein Engel! Und wir sind alt, krank und hässlich und niemanden interessiert es, ob in diesen faltigen Körpern noch Leben steckt. Wir sind gebunden an dieses alte Fleisch und wenn es sich schließlich entscheidet, endgültig verfaulen zu wollen, stirbt unser Geist mit ihm!“
    Emmaline sprang auf und lief zu ihr, „Darling, was redest du denn da? Seht euch doch alle an! Ihr hattet ein wundervolles erfülltes Leben! Kinder, Enkelkinder, Wohlstand, Liebe! Ich würde alles dafür geben, wenn ich eine Familie haben könnte. Ich bin ein Nomade, der niemals lang genug an einem Ort bleiben kann, um menschliche Bindungen aufzubauen. Für mich gibt es keinen Lebenskreislauf, kein zur Ruhe kommen, keinen Frieden. Für mich gibt es nur eine unendliche Gegenwart, in der ich mich niemals verändere. Diese Schönheit ist die Faszination, die meine Andersartigkeit auf die Menschen ausübt. Ich gehöre nicht mehr zu ihnen, nicht mehr zu euch, Amelia! Mein Körper starb in der Nacht, als ich Jacob tötete, ich habe mein Leben meinem Volk geschenkt. Durch meine Adern fließt nicht mehr mein Blut, sondern das Blut meiner Opfer. Ich bin wie eine dieser Horrorgestalten aus den Gruselgeschichten, ein Vampir, ein Werwolf oder ein Zombie. Zwar trinke ich das Blut der Menschen nicht, aber ich muss es vergießen, um weiterleben zu können. Mögen es auch schlechte Menschen gewesen sein, es ändert nichts daran, dass ich ihr Mörder bin, ein Raubtier, dass immer wieder Beute schlägt, denn nur so kann es stark bleiben.“
    Amelia wich unwillkürlich vor Emmaline zurück.
    „ Also, Amelia, wenn deine Stunde kommt, dann denke dankbar zurück an dein Leben, das du in Glück und Liebe verbringen durftest, ohne dich an deinen Mitmenschen schuldig zu machen. So etwas wiegt mehr, als ein ewig junges

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