Das Mallorca Kartell (German Edition)
Augen. Cristina nahm ihre Freundin in die Arme. Ihr Hals wurde trocken und sie schluckte schwer. Carmen war nicht nur Célias Nachbarin gewesen, sie waren seit über sechzig Jahren befreundet gewesen. Ebenso wie ihre eigene Großmutter zu dem Dreigestirn gehört hatte. Cristina war bei den beiden aufgewachsen. Und nun sollte ihre Carmen tot sein? Das konnte nicht sein. Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an.
»Sie ist nicht mehr aufgewacht. Gestern war ihr nicht gut, und heute Morgen war sie einfach tot.« Célia wischte sich die Tränen von der Wange. »Dieser Trottel von Zapatero hat sie untersucht und erklärt, sie sei friedlich im Schlaf gestorben. Du kennst doch Enrique Zapatero, oder?«
»Du meinst doch nicht etwa den Säufer? Wer hat denn den gerufen?«
»Er ist Marías Arzt. Sie hat Carmen tot im Bett gefunden und wusste sich nicht anders zu helfen.«
»Wo ist Carmen jetzt? Ich möchte sie gerne sehen und mich von ihr verabschieden.« Cristina wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Wir können noch heute in die Aussegnungshalle von Último Descanso fahren, dort ist sie aufgebahrt. Sie werden sich auch um die Beerdigung kümmern. Ich kann nicht glauben, dass Carmen wirklich tot ist. Sie war weder krank noch schwach. Sie hat sogar letzte Woche vorgeschlagen, nochmals nach Ronda zu fahren, um in alten Zeiten zu schwelgen. Schließlich haben wir uns alle dort kennengelernt.« Célia bekam erneut einen Weinkrampf und ihr zarter Körper wurde durchgeschüttelt. »Jetzt bin nur noch ich übrig.«
»Carmen wurde siebenundachtzig Jahre und war nie krank. So viel Glück hat nicht jeder.« Cristina strich Célia eine dunkelgraue Haarsträhne aus dem Gesicht. »Außerdem bist du doch nicht allein.« Und ich auch nicht, dachte sie traurig. Sie war Carmen und Célia auf ewig dankbar, dass sie sich nach dem tödlichen Unfall ihrer Eltern in den Schweizer Bergen um sie gekümmert hatten. Im Testament ihrer Eltern war festgehalten worden, dass das Sorgerecht für sie auf Célia übergehen solle. Célia hatte diese Aufgabe damals trotz ihrer siebzig Jahre gerne übernommen. Cristina war mit zehn Jahren Vollwaise, ohne lebende Verwandte. Wenn Célia und Carmen sie nicht aufgenommen hätten, wäre sie in einem Waisenhaus aufgewachsen. Ihre eigene Großmutter hatte sie nie kennengelernt; dafür hatte sie zwei liebevolle Ersatzgroßmütter gehabt. Sie verdankte den beiden alten Damen eine glückliche Kindheit.
»Ach Kind, du weißt schon, was ich meine. Du bist jung, und ich...« Célia schnäuzte sich lautstark.
»Sollen wir nun ins Beerdigungsinstitut fahren?«, fragte Cristina, nachdem sie einige Minuten still vor sich hingestarrt hatten. Cristina wollte sich unbedingt von Carmen verabschieden. Es wäre sehr schwer, Carmen in einem offenen Sarg aufgebahrt zu sehen. Cristina ging ungern zu Beerdigungen. Sie zog es vor, sich so an die Menschen zu erinnern, wie sie zu Lebzeiten gewesen waren. Trotzdem war sie es Carmen schuldig.
Célia stand auf und nickte. »Du hast recht. Wir sollten uns auf den Weg machen. Aber erst möchte ich noch ein Foto heraussuchen.« Nach wenigen Minuten kam Célia mit einer alten Schwarz-Weiß-Fotografie zurück, die Cristinas Großmutter María Ángeles zusammen mit Célia und Carmen in jungen Jahren in ihren Tanzkleidern zeigte. Cristina nahm ihr das Foto aus der Hand, um es genauer zu betrachten. Die drei Mädchen lächelten übermütig und man sah ihnen an, dass sie glücklich waren. »Ist das ein Foto von eurem ersten Treffen?«
»Ja, das war direkt nach unserem ersten gemeinsamen Auftritt. Das ganze Leben lag noch vor uns.« Célias Gesicht war wieder von Trauer erfüllt. Sie erinnerte sich noch genau, wie sie verloren und nervös in der Kabine hinter der Plaza de Toros in Ronda umhergewandert war. Ihr Tanzpartner hatte vergeblich versucht, sie zu beruhigen. Die Einzige, die wirklich ruhig schien, war Cristinas Großmutter María Ángeles gewesen. Sie hatte mit locker überschlagenen Beinen auf einer wackeligen Bank gesessen und eine Selbstsicherheit ausgestrahlt, die sich langsam auf sie übertragen hatte. Als sie María Ángeles später darauf ansprach, hatte diese lachend erklärt, dass sie hätte sitzen müssen, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Dort war sie auch Carmen zum ersten Mal begegnet. Vier Tanzpaare waren sie gewesen, die vor dem großen Stierkampf zur Unterhaltung des Publikums den Paso Doble tanzen sollten. Der Paso Doble wurde zu dieser Zeit sehr oft vor einem
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