Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)
nach draußen. Die Station war erfüllt von Leben.
Sergej empfand eine innere Antriebslosigkeit und Leere, als ob ihm die ganze Nacht übel gewesen wäre. Die Wunde an seiner Schulter brannte. Wieder dachte er besorgt, dass er so schnell wie möglich Wosnizyn ausfindig machen und mit der Therapie beginnen musste. Später war noch Zeit genug, darüber nachzudenken, womit er sich nach seiner Genesung beschäftigen könnte.
Er brachte gerade seine schmale, gusseiserne Liege in Ordnung, als Max und Denis in neuer Kleidung, mit rosiger Haut, frisch gewaschen und höchst zufrieden auftauchten.
»Warum bist du ohne mich losgegangen?«, fuhr Sergej seinen Sohn an. Er war aufgebracht, begriff aber gleichzeitig, dass er neidisch war.
»Ach, komm schon, wir haben ein Bad genommen …« Der frisch rasierte Max strahlte wie eine polierte Kupfermünze. »Wir wollten dich nicht wecken. Du hast dich die ganze Nacht herumgewälzt und im Schlaf irgendwelchen Unsinn erzählt. Hör mal, sie stellen hier so ein Shampoo her, total abgefahren … Als ob es nichts Wichtigeres im Leben gäbe …«
»Shampoo, Papa!« Denis hüpfte vor Aufregung auf der Stelle auf und ab. »Es … Es schäumt!«
»Natürlich schäumt es.« Max lachte schallend. »Das ist doch der Sinn von Shampoo … Komm schon, Serjoscha. Erst gehen wir noch bei den Ärzten vorbei. Sie werden nachschauen, ob deine Wunde gut verheilt und so … Danach ab ins Bad mit dir und hinterher zum Frühstücken in die Kantine.«
Die Wunde verheilte gut und bot keinen Anlass zur Sorge. Eine hagere, grauhaarige Frau im weißen Kittel spritzte ihm etwas in die Schulter, wenige Zentimeter neben der Wunde. Sergej kniff gewohnheitsmäßig die Augen zusammen,
und die Frau sagte ohne das geringste Wohlwollen: »Männer sind allesamt Memmen. Waren sie immer und werden es immer bleiben …« Sie befahl ihm, nach dem Bad nochmal zum Verbinden zu kommen.
Zwar hatten sie ihm nicht sonderlich viel Wasser zugeteilt, dafür war es fast heiß. Immer wieder betrachtete er bewundernd die sparsamen und gleichzeitig komfortablen Duschvorrichtungen in der Badestube. Auch hier gab es Bottiche und abgewetzte Bastwische. Der Raum war ziemlich groß, und wie der redselige dicke Badewärter ihm erzählte, kam die ganze Linie hierher zum Waschen. Jede Station hatte ihren eigenen Badetag.
Und das Shampoo? Es schäumte nicht nur ausgezeichnet, sondern wusch auch bestens den Schmutz aus den viel zu langen Haaren.
Beim Verbinden der Schulter ging die Ärztin alles andere als zimperlich mit Sergej um, als wollte sie ihm absichtlich Schmerz zufügen. Aber Sergej ertrug die Prozedur klaglos.
In der Kantine saßen sie wieder nur zu dritt, genau wie am Vorabend. Zum Frühstück gab es leicht gesüßte Buchweizengrütze und geröstetes Brot mit Tee. Max wirkte konzentriert und verschlossen und antwortete nur einsilbig auf die Fragen seiner Gefährten. Sergej hatte das Gefühl, dass Max Besuch in ihrem Zelt gehabt hatte, während er im Bad gewesen war.
Max stand auf, um noch einmal Tee für Denis zu holen. Sergej saß nachdenklich da und starrte vor sich hin.
»Gut gegessen?« Direkt hinter ihm erklang eine unbekannte männliche Stimme. Sergej zuckte zusammen und wandte sich um.
Vor ihm stand ein seltsamer Mann, der ihn an einen umgedrehten Wassertropfen erinnerte: Auf den breiten Schultern saß ein mächtiger Schädel mit kurzen grauen Haaren. Von den Schultern hingen kurze Ärmchen herab. Zur Taille hin wurde der Körper immer schmaler, und die Beine waren unverhältnismäßig kurz. Der Mann trug einen dunkelblauen Pullover, der an der Schulter spannte und am Bauch viel zu weit war, sowie eine Hose in der gleichen Farbe, deren Hosenbeine kaum seine Knöchel bedeckten. Alles in allem machte der Besucher mit seinen grellroten Lippen und dem aufgesetzt teilnahmsvollen Gesichtsausdruck einen unangenehmen Eindruck.
»Ilja Michailowitsch Batrak«, stellte sich der Mann vor. »Vermutlich haben Sie von mir gehört.«
Max kam zurück. Als er Ilja sah, murmelte er unwillkürlich: »Wir hatten es doch besprochen …«
»Warum eigentlich …« Ilja Michailowitsch sprach mit hoher Stimme, die gelegentlich in ein leichtes Falsett kippte. »Herr Kolomin, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Ihr Genosse, äh … ziemlich unbeherrscht ist. Sie sollten ihm bei Gelegenheit eine entsprechende Mahnung erteilen. Und Sie sollten sich bewusst sein, dass die Station sich Ihnen allen dreien gegenüber extrem zuvorkommend
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