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Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Titel: Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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in der ENA .«
    »Ich vermute, nicht in der Promotion Voltaire?«, fragte Jacques scheinheilig.
    Jeder Jahrgang gibt sich in der ENA einen Namen. Und da François Hollande, wie übrigens auch seine Ex, Ségolène Royal, aus der Promotion Voltaire stammte, waren jetzt viele seiner Kommilitonen aus diesem Jahrgang vom neuen Präsidenten in wichtige Positionen im Staatsdienst gehievt worden.
    »Nein, das nicht.« Marie Gastaud fand die Bemerkung nicht passend und ließ es sich anmerken.
    »Aber glauben Sie das wirklich? Ist Wein tatsächlich ein Nahrungsmittel?«, fragte Jacques. Er dachte an den beleidigenden Artikel von Margaux über den Lifestyle-Richter Ricou.
    »Hier, lesen Sie, wie Suguenot argumentiert: ›Wein ist ein besonders Nahrungsmittel. Es hat nutritionalen Wert. Man kann es allein verzehren. Es ist ein Lebensmittel, das man mit anderen Lebensmitteln zusammen zu sich nimmt. Aber es ist ein Lebensmittel.‹«
    Als wenn man Wein essen würde, dachte Jacques, aber er verkniff sich seine spitze Bemerkung. Stattdessen sagte er: »Das ist doch eher ein Thema für Ernährungswissenschaftler als für einen Juristen …«, doch seine Chefin unterbrach ihn unsanft.
    »Sie wissen, Monsieur le Juge, in der Juristerei kommt es nur auf die Begründung an. Sie können jemanden in ein und demselben Fall freisprechen oder zum Tode verurteilen. Wie gesagt, es kommt nur auf die Begründung an. Von der Ernährungswissenschaft dagegen erwartet man nachprüfbare Ergebnisse.«
    In diesem Augenblick stürzte Justine, die Assistentin der Kammerpräsidentin, in das große Büro und sagte mit einem Seitenblick auf Jacques: »Entschuldigen Sie, Madame la Présidente, wenn ich störe. Aber ich glaube, es ist wichtig. Eine furchtbare Sache …« und reichte Marie Gastaud ein Blatt Papier.
    »Vierfacher Mord im Wald von Ville-d’Avray«, stand darauf.
    »Ist die Police judiciaire schon eingeschaltet?«, fragte die Kammerpräsidentin.
    »Ja, Kommissar Jean Mahon ist eben mit seinen Spurenlesern losgefahren.«
    »Wann ist es passiert?«
    »Ich weiß auch nicht mehr, als das, was hier steht. Zwischen neun und halb zehn. Wir bekamen die Meldung eben von der Feuerwehr, bei der ein Notruf eingegangen ist.«
    Die Kammerpräsidentin wandte sich an Jacques. »Arbeiten Sie nicht immer mit Kriminalkommissar Mahon zusammen?«
    »Ja, meistens«, sagte Jacques.
    »Dann sollten Sie auch diesen Fall übernehmen«, sagte Marie Gastaud. Sie schlug das Buch zu und stand auf. »Und den Wein vergessen wir mal.«
    Heute gab sie ihm ausnahmsweise nicht die Hand zum Abschied, sondern ging über den großen Ardabil-Teppich, der ihr privat gehörte, zum Schreibtisch. Ihr Vater hatte einst als französischer Konsul im Iran gedient und dort angefangen, Teppiche zu sammeln. Als er starb, lagen in seiner Wohnung Teppiche doppelt und dreifach übereinander.
    Jacques und Justine standen einige Sekunden ratlos in der Mitte des Raumes. Dann ging Jacques schnellen Schritts zur offenen Tür hinaus. Als er in seinem Büro ankam, atmete er tief durch und rief Martine zu sich.
    »Hast du gelesen …?«, fragte er sie.
    Martine machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Vergiss es.
    »Eben wollte mir Betonmarie noch ein anderes Lifestyle-Thema aufdrücken. Ich sollte juristisch belegen, dass Wein ein Nahrungsmittel ist!«
    Martine lachte laut auf.
    »Ein Nahrungsmittel? – Und darüber willst du wirklich ein Gutachten schreiben?«
    »Nein«, sagte Jacques. »Ich habe Glück gehabt. Wenn man es Glück nennen kann. Es soll ein vierfacher Mord verübt worden sein. Den habe ich jetzt an der Backe. Und du weißt, wie sehr ich Mordsachen hasse. In neunzig Prozent der Fälle geht es um Familienprobleme. Mann erschlägt Ehefrau, Ehefrau vergiftet Mann, Liebhaber lässt Ehemann ermorden, Sohn erschlägt Eltern. Dann doch lieber Mord als Lifestyle.«
    »Na ja«, grinste ihn Martine an, »oder aber Mord, um einen größeren Busen zu finanzieren.«
    »Hör auf! Ruf lieber Kommissar Jean Mahon an«, sagte Jacques. »Erklär ihm, ich hätte heute Vormittag noch drei Termine, die ich nicht verschieben könne. Ich könnte frühestens am Nachmittag zum Tatort kommen. Frag, ob das dann noch Sinn macht?«

Der Auftraggeber
    » P ünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige«, sagte der Auftraggeber, als er nur eine oder zwei Minuten nach eins die Tür von »Le Pacifique« öffnete und seinen gewohnten Platz an einem der großen Fenster zur Rue de Belleville ansteuerte. Auf dem

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