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Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Titel: Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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als suche er im Menü nach einer Speise. »Vier Ermordete machen natürlich einen viel größeren Lärm als einer. Es wäre vielleicht besser gewesen, Sie hätten auf eine neue Gelegenheit gewartet.«
    »Vielleicht wäre es besser gewesen«, sagte Gao und zeigte mit seinem Kuli auf ein Gericht in der Menükarte. »Aber er stand allein im Wald, als ich auf ihn schießen wollte. Da kam der Radrennfahrer. Also musste ich den Zeugen zuerst erschießen. Denn der wäre mit dem Rad schnell wieder verschwunden.«
    »Sie hätten warten können, bis der Radfahrer vorbei war.«
    »Nein, das konnte ich nicht. Er war auf den Weg getreten und rief, er sei Mohammed. Das Auto konnte ich nicht sehen. Und ich war gerade hinter einem Baum hervorgetreten und zielte auf das Objekt, als der Radfahrer ankam.«
    »Und wo waren die beiden anderen?«
    »Im Auto, etwa zehn Meter weit entfernt, aber eben nicht zu sehen. Ich erschoss den Radfahrer, woraufhin Mohammed zu seinem Wagen zurückrannte und wegfahren wollte. Er setzte zurück, blieb dann aber glücklicherweise mit den Hinterreifen im Sand stecken. Ich habe alle drei im Auto erschossen. Sie haben mir schließlich gesagt, es sei eilig. Sonst hätte ich die Sache verschoben.«
    »Zu beurteilen ob das schlimm gewesen wäre, wäre meine Sache gewesen«, sagte Monsieur.
    »Aber es war zu spät. Die drei hatten mich ja gesehen. Ich hatte zwar eine Maske über den Kopf gezogen, aber man weiß ja nie …«
    Monsieur schwieg mit strenger Miene und schaute wirklich in das Menü.
    »Als Vorspeise nehme ich gedämpfte Reisravioli mit Lauch«, sagte er schließlich nach einer unangenehm langen Pause: »Danach von den Salz-und-Pfeffer-Spezialitäten des Hauses die Wachtel und die Krabbenzangen. Dazu Tagesgemüse aus dem Wok.«
    Als Gao Qiu die Dampfravioli in einem geschlossenen, kleinen Bambuskörbchen brachte, fragte Monsieur: »Stehen Sie in den nächsten Wochen zur Verfügung?«
    »Ich bin hier«, antwortete Gao Qiu.
    »Ich will wissen, ob ich Sie zur Not einsetzen kann, wenn es die Entwicklung des Falles erfordert?«, fragte Monsieur ungeduldig.
    »Das können Sie.«
    »Gut. Dann fahren Sie heute Nachmittag in die Goutte d’Or und kaufen sich dort bei irgendeinem Afrikaner ein billiges Handy.« Er hob den geflochtenen Deckel des Bambuskörbchens ab, die Ravioli dampften noch. Ein köstlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Er schluckte. Der Speichel lief ihm im Mund zusammen.
    Als Gao Qiu ihm die Rechnung über siebzehn Euro reichte, legte Monsieur einen Zwanziger hin und schrieb auf die Rückseite der Rechnung eine Telefonnummer.
    »Dorthin schicken Sie mir eine SMS mit Ihrer neuen Nummer. Das Telefon benutzen Sie nur, und zwar wirklich nur, um mit mir zu kommunizieren. Geben Sie die Nummer niemandem sonst. Niemandem. Haben Sie verstanden?«
    »Ja«, sagte Gao Qiu in einem Ton, der Monsieur nicht ahnen ließ, wie sehr ihn seine hochmütige Art ärgerte. Dich krieg ich auch noch, dachte der Kellner. Ich hab’ die Luger noch nicht entsorgt!
    Als Monsieur gegangen war, nahm er die kleine Holzkiste mit in den winzigen Umkleideraum neben der Toilette. Er klemmte einen Keil unter die Tür, damit niemand hereinplatzen und ihn überraschen könnte. Dann schob er den blechernen Kleiderschrank zur Seite, nahm vorsichtig ein altes, vergilbtes Plakat von Edith Piaf von der Wand, das dort hing, seit sie als Sechzehnjährige in den Lokalen der Rue de Belleville aufgetreten war, und zog einen großen Stein vor, den er gelockert hatte, um ein Versteck zu bauen.
    In Paris mussten Leute aus Dongbei ihr Leben in einer Parallelwelt organisieren. Wer keine Aufenthaltsgenehmigung besaß, konnte bei keiner Bank ein Konto eröffnen oder einen Safe mieten. Wer aber sein Bargeld mit sich trug, wurde immer häufiger ein Opfer von jungen Afrikanern, die mit dem Boot nach Lampedusa gekommen waren und sich dann in einen Zug nach Paris gesetzt hatten. Auch sie waren Menschen, die sich ohne Papiere durchschlagen mussten. Sie hatten festgestellt, dass Chinesen in Belleville häufig viel Geld mit sich trugen. Leichter konnte man nicht an Bares kommen.
    Gao Qiu holte aus dem Versteck ein ziemlich dickes Paket, das er in eine Plastiktüte gepackt hatte. Er öffnete es und legte achtzehn der zwanzig Fünfhunderter aus der feinen Konfektschachtel zu dem Haufen hinzu, verschnürte das Paket und legte es zurück. Daneben lagen, trocken eingewickelt, die Luger und drei gefüllte Magazine.

Erstes geheimes Abhörprotokoll
    D ie Nummer

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