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Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Titel: Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Fensterbrett standen große weiße Orchideen.
    Gao Qiu hatte unwillkürlich auf seine Uhr geschaut, als die Tür aufging, und war sofort an den Tisch des neuen Gastes getreten.
    »Dieser Satz stammt übrigens von Louis  XVIII . und nicht, wie manche Leute behaupten, schon von Louis  XIV . Der Sonnenkönig war einer der unhöflichsten Menschen überhaupt!«, sagte der kräftige Mann, um die fünfzig, der offensichtlich einen Hang zu banalen Redensarten und Besserwisserei hatte.
    Bis auf drei Paare war das große Lokal leer. Goldfische und kleine Karpfen bewegten sich träge in einem riesigen Aquarium.
    Gao Qiu reichte dem Neuankömmling die Speisekarte und fragte: »Kann ich Ihnen schon ein Getränk bringen, Monsieur?«
    »Gerne«, sagte der Auftraggeber, »bitte ein Qingdao Pijiu«, und lachte. Er kam jetzt zum fünften Mal und bestellte stets das Gleiche auf die gleiche Art: ein Pijiu, ein chinesisches Bier aus der Brauerei, die von Deutschen vor dem ersten Weltkrieg in ihrer chinesischen Kolonie Tsingtau errichtet worden war.
    »Ich habe gehört, Sie hatten Geburtstag«, sagte er zu Gao Qiu, »deshalb habe ich Ihnen ein kleines Etwas mitgebracht.«
    Mit den ein wenig hilflos ausgesprochenen Worten »Yi wan ci xingfu« überreichte er ihm ein Holzkistchen des Chocolatiers Sadaharu Aoki, ein Japaner, der es in Paris zu einem der besten Pralinen-Konditoren gebracht hat. Das Konfekt hatte der Auftraggeber aufgegessen, bevor er zehntausend Euro in den edel wirkenden Kasten gelegt hatte.
    Seinen Namen hat er Gao Qiu nie gesagt.
    »Nennen Sie mich einfach Monsieur.«
    »Monsieur wie? Monsieur. Einfach Monsieur Monsieur, wenn Sie so wollen.« Er lachte dabei laut.
    Monsieur war eines Mittags ins »Le Pacifique« gekommen und hatte sich an einen Tisch am Fenster gesetzt, wo Gao Qiu bediente. Das wusste Monsieur wohl. Und Monsieur sagte zur Begrüßung, was als Code-Worte verabredet worden war: »Yi wan ci xingfu.« Seine Aussprache war erbärmlich, von einem Franzosen aber kaum anders zu erwarten.
    Zehntausendmal Glück.
    Zehntausend Euro für den Auftrag, bedeutete das.
    Für Gao eine ungeheure Summe.
    Aber nicht immer ging es bei den Aufträgen um die volle Summe. Auch nicht um das volle Programm.
    Der alte Chef der Triade mit dem Namen 14 K, der die chinesischen Lokale in Belleville kontrollierte, hatte vor zwei Jahren den ersten Auftrag vermittelt und Gao Qiu davor gewarnt, unnötige Fragen zu stellen. Weder zur Person, die ihn ansprechen würde, noch zum Auftrag selbst. Je weniger er wüsste, desto sicherer wäre es für alle Beteiligten.
    Beim ersten Mal hatte Gao seiner Neugier nachgegeben. Kaum hatte Monsieur ihm die Details seines Auftrags erklärt und eine Anzahlung gemacht, war Gao in die Küche geflitzt, hatte seine Schürze abgelegt und war zum Seitenausgang geeilt. Er war dem Mann die Rue de Belleville hinab gefolgt, vorbei am Kiosk von Nicolas bis zur Metrostation, war vorsichtig die Treppen hinter ihm hergerannt, um ihn in der Unterwelt von Paris nicht aus den Augen zu verlieren. Doch gleich hinter der Eingangstür der Metro hatten zwei kräftige Burschen Gao Qiu aufgehalten. Chinesen. Er kannte sie vom Sehen. Sie waren Handlanger des alten Chefs. Keiner hatte ein Wort gesagt. Sie hatten ihn so fest an den Schultern gepackt, dass es schmerzte, ihn umgedreht und ihn die Treppe hinaufgestoßen.
    Das war nicht sehr professionell gewesen. Er sah es ein. Und als ihm das später noch einmal nebenbei, aber doch sehr deutlich gesagt worden war, hatte Gao beschämt genickt und sich beim Drachenmeister entschuldigt, wie der Chef des 14 K genannt wurde. Nein, das war wirklich nicht professionell.
    Professionell wäre es gewesen, in die Zeitung oder die mondäne Presse zu schauen. Da hätte er ab und zu Fotos von Monsieur gesehen. Doch Gao Qiu lebte wie die meisten seiner Landsleute in Paris in einer abgeschotteten Welt. Er las nur Kan Zhong Guo, eine in Paris kostenlos verteilte chinesische Zeitung. Selbst französisches Fernsehen interessierte ihn nicht.
    Gao legte den kleinen Holzkasten auf dem Tisch kurz ab, nahm seinen Block in die linke und den Kuli in die rechte Hand, so als wollte er die Bestellung aufnehmen und sagte leise: »Das Zielobjekt kam nicht allein, sondern mit zwei anderen im Wagen. Es ist ausgestiegen, als mitten im Wald ein Radfahrer auftauchte. Ich habe den Auftrag trotzdem ausgeführt. Es dürfte keine brauchbaren Hinweise geben.«
    »Ich habe es im Internet gelesen«, sagte Monsieur und tat so,

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