Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
erhalten. Der Einzige, der sein Geld in Sicherheit gebracht hat, ist Ronsard. Und der versucht verzweifelt, es auf ein französisches Konto …«
»Hör auf«, rief Dati, »das sollten wir wirklich mal in Ruhe besprechen. Mein Büro macht mit deinem einen Termin für ein Abendessen aus.«
Georges Hariri gab keine Antwort mehr. Alexandre Dati hatte gleich nach seinem letzten Wort ausgeschaltet.
Dem Abhörprotokoll des Gesprächs war die Bemerkung beigefügt, dass der Gesprächspartner mit der unterdrückten Nummer geortet werden konnte. Er sprach aus einer Wohnung 17 , Avenue Foch. Die lag in einem alten Appartementhaus mit hohen, eleganten Eisengittern. Die Namen der sechs Parteien, die in diesem Haus wohnten, waren im Protokoll aufgeführt.
Am Tatort
S echs Stunden nach den tödlichen Schüssen war der Tatort noch immer nicht geräumt. Die Mitarbeiter von Kommissar Jean Mahon gingen jeder nur möglichen Spur nach. Fünfundzwanzig Patronenhülsen hatten sie inzwischen eingesammelt.
Wer war zuerst erschossen worden?
Der Radfahrer oder die Menschen im Auto?
Der Radfahrer lag weit weg von seinem Rad und war offensichtlich von dem rückwärts fahrenden Wagen mitgeschleift worden.
Als Jacques endlich angekommen war und durch die Absperrung ging, schüttelte ihm Kommissar Jean Mahon die Hand. Er hob schweigend die Augenbrauen und machte eine Kopfbewegung, die heißen sollte, komm mit.
»Wir wissen bisher nicht viel«, sagte er.
»Vier Menschen sind erschossen worden. Drei davon in einem Auto. Marokkaner. Und ein französischer Radfahrer. Coiffeur. Wir wissen nicht, in welcher Reihenfolge die Opfer getroffen worden sind. Vermutlich zuerst der Radfahrer, dann die Menschen im Auto. Der Fahrer vorn, daneben sein Beifahrer, und eine Frau auf der Rückbank. Jeweils mit Kopfschuss. Regelrecht hingerichtet. Der Motor des Wagens lief noch und die hinteren Räder drehten sich im Schlamm eines feuchten Grabens. Wahrscheinlich wollte der Fahrer schnell wenden, um dann nach vorwärts zu fliehen.«
»Wieso vorwärts?«, fragte Jacques.
»Wenn der Täter von links gekommen ist, dann hätte der Wagen nach rechts ausbrechen können.«
»Kopfschüsse, sagst du. Auch der Radfahrer?«
»Nein, der nicht«, antwortete Jean Mahon. »Der hat nur zwei Schüsse in die Brust bekommen. Und als er entdeckt wurde, lebte er noch. Er ist aber gestorben, ehe die Retter vor Ort waren. Das Ganze muss sehr schnell gegangen sein, denn die Erschossenen wurden von einem englischen Radfahrer gefunden, der den französischen Cyclisten kurz zuvor im Bistro »La Petite Reine« in Sèvres getroffen hatte. Der Franzose war dann eine Viertelstunde vor ihm losgefahren. Zwischen dem Mord an dem Radfahrer und der Entdeckung der Morde liegen also nur fünfzehn Minuten.«
Als der Kommissar und der Untersuchungsrichter auf die kleine Lichtung kamen, wo der Wagen stand und die Leichen immer noch nicht weggebracht worden waren, deutete Jean Mahon auf das Rad. Es lag auf dem Weg, der tote Radfahrer aber in der Nähe des Autos.
»Der englische Radfahrer hat erklärt«, sagte der Kommissar, »der Mann mit dem Rad habe noch gelebt, als er ankam. Er habe ihn vom Auto weggezogen, weil er Angst hatte, der Wagen könnte ihn noch überrollen und ihn dann in Schräglage gelegt. Der Zeuge muss ein kalter Hund sein. War in der britischen Armee. Dann ist er zum Auto gegangen, dessen Räder durchdrehten, weil sie im Schlamm des Grabens feststeckten. Er hat das Seitenfenster eingeschlagen, das durch die Schüsse schon zersplittert war, und hat dann den Schlüssel umgedreht und den Motor ausgestellt. Er hat gesehen, dass die drei Menschen im Auto tot waren und wollte Hilfe rufen, aber sein Handy hatte keinen Empfang.«
»Wer hat uns denn dann benachrichtigt?«, fragte Jacques.
»Die Feuerwehr! Bei der kam ein Notruf von einem Spaziergänger an. Der Brite ist auf sein Rad gestiegen und zu den Teichen von Corot gefahren. Da war er in vielleicht ein oder zwei Minuten. Der Kerl ist high-tech ausgerüstet. Fährt nach GPS auf seinem iPad. Das hat er vor seinem Lenker befestigt.«
»Wie sieht denn der genaue Zeitablauf aus?«
»Grob gesprochen so: Um neun werden die vier Menschen erschossen. Um Viertel nach neun kommt der Brite. Er braucht gerade einmal vier Minuten, um die Lage zu peilen, den Coiffeur vom Wagen wegzuziehen und auf die Seite zu legen. Er geht zum Wagen, sieht was los ist, springt wieder auf seinen Drahtesel, und um 9 Uhr 19 geht bei der Feuerwehr der Notruf
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