Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
Frankreichs aufgewachsen, in der Gegend, wo sich einst die Hugenotten in Höhlen vor der Verfolgung durch die katholischen Fürsten versteckten, und wo noch früher die Katharer von den Katholiken ermordet worden waren. Ein Grund, weshalb die Leute im Süden auch Jahrhunderte später bei Wahlen noch gegen die konservative Macht in Paris stimmten. Seine Eltern waren Lehrer gewesen, kritische Geister, aber längst verstorben.
Immer noch an der rückwärtigen Tür des Citroëns sitzend, versuchte die junge Polizistin mit dem Mädchen Kontakt aufzunehmen.
»Das ist aber ein lieber Käfer, den du da hast«, sagte sie, »der hilft dir sicher immer. Hat der denn auch einen Namen?«
Das Mädchen lenkte seinen Blick kurz in die Augen der Polizistin, öffnete die Lippen einen kleinen Spalt, als überlege es sich, etwas zu sagen, dann streckte es seine kleine Hand nach der Wasserflasche aus.
Fabienne reichte sie ihr und machte Jean Mahon Zeichen, er möge kommen.
»Monsieur le commissaire, was machen wir? Soll ich versuchen, sie auf den Arm zu nehmen?«
»Jetzt kommt gleich ein Krankenwagen. Sie fahren dann mit dem Kind in die Klinik, wo es untersucht und in der Kinderstation untergebracht wird«, sagte der Kommissar. »In der Zwischenzeit versuchen wir, irgendjemanden aus der Verwandtschaft des Mädchens aufzutreiben.«
Minuten später fuhr der Krankenwagen vor. Fabienne bot dem Mädchen die Hand an, doch es blieb sitzen. Vorsichtig nahm sie die Kleine auf den Arm, die sich gleich an ihre Brust kuschelte und trug sie zum Wagen. Hier wurde das kleine Kind auf eine große Bahre gelegt, auf der es wie verloren wirkte.
Nur einmal stieß es tief die Luft aus, dann drückte es den Käfer enger an sich und schwieg.
Der Wagen fuhr ab.
Jacques fluchte plötzlich laut und zeigte mit seiner Hand in den Wald. Hinter einem Baum lugte ein großes Zoom-Objektiv hervor.
»Scheiß-Paparazzi«, rief er.
Jean Mahon gab sofort den Befehl, den Mann festzunehmen. Das dürfte nicht schwer sein. Der ganze Wald war abgesperrt.
Der Paparazzo kannte sich jedoch gut aus. Er konnte unentdeckt entkommen.
Margaux am Telefon
D as Telefon klingelte ununterbrochen auf dem Schreibtisch von Martine, nachdem Jacques ihr aus dem Auto auf der Rückfahrt vom Tatort einen kurzen Bericht diktiert hatte, den sie, auf seine Anordnung hin, an die Kammerpräsidentin Marie Gastaud weiterleitete.
Sobald Jacques zurück sei, möge er bitte sofort zur Präsidentin kommen.
Sobald Jacques zurück sei, möge er sich beim obersten Polizeipsychologen melden.
Sobald Jacques zurück sei, möge er Jérôme anrufen.
»Jérôme?«, hatte Martine gefragt.
Ja, Jérôme! Jacques weiß schon Bescheid. Jérôme, der Hausarzt aus Belleville.
Ach ja, lachte Martine, ich weiß, der gemütliche Hausarzt.
Gemütlich? Na, ich bin dick, Mädchen, sei nicht so höflich! Wir haben schon einmal zusammengesessen, als Gaston die Übernahme von »Aux Folies« gefeiert hat.
Ja, ist schon eine Weile her. Ist es wichtig? Jacques ist bis über die Ohren im Stress.
Ja, ich weiß, er hat mich angemorst. Es geht um die Frage, wie man mit dem kleinen Mädchen umgehen müsse. Ich sag ihm, dass Sie angerufen haben, sagte Martine und war verblüfft, als Jérôme ihr per Leitung ein Bisou, einen Wangenkuss hinterherschickte.
Das Telefon klingelte, während Martine sich von Jérôme verabschiedete. Es war die direkte Leitung, die nur Jacques benutzte.
»Oui, Jacques, was gibt’s?«
»Ich bin’s«, sagte eine Frauenstimme.
Martine musste kurz überlegen. Ich bin’s? Ich, das kann jeder sein. »Ich bin’s« ist meist ein zu kurzer Satz, um jemanden zu erkennen. Während Martine noch überlegte, sagte die Stimme: »Ich bin’s, Margaux. Martine?«
»Oups!«, sagte Martine, »du traust dich anzurufen?«
»Wieso, habe ich was ausgefressen?«
»Halt mich nicht für doofer, als ich bin, Margaux. Du hast doch deinen Artikel von heute früh nicht schon vergessen?«
»Ach Gott, das war ein versteckter Geburtstagsgruß«, sagte Margaux leicht dahin, sie hoffte wohl, den boshaften Text überspielen zu können, »außerdem musste das mal sein. Wegen seiner blöden Mara. Parfumtante und Lifestyle-Tussi!«
Mara Talbot war eine attraktive Frau, Chefin des Parfumherstellers Talbot, eines Familienunternehmens in Grasse. Und für kurze Zeit mit Jacques liiert.
»Hör doch auf! Das ist doch schon seit dem Winter vorbei. Du scheinst nicht auf dem Laufenden zu sein«, sagte Martine.
»Vorbei? Das
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