Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
Vom Netzwerk:
Mutter bei sich haben will. Er schlug die Decke zurück. Wenn er in seinem Leben etwas nicht mehr brauchte, war das eine Mutter.
     
    Am Brunnenbecken vor den Häuserblöcken der Walzwerksiedlung schlief im Sitzen ein dunkelhaariger junger Mann. Kovacs weckte ihn nicht. Es war ausreichend warm. Vermutlich war es jemand aus dem Umkreis Sharif Erdoyans, des Sheriffs, zugedröhnt wie nur was, und wenn man sie befragte, wussten sie alle nichts. Vielleicht Cinn, dachte Kovacs, die neue Biodroge. Irgendjemand aus der Gruppe sollte sich damit beschäftigen, am ehesten Sabine Wieck, die brauchte sowieso Profil. Außerdem waren die beiden anderen hoffnungslos überlastet, George Demski mit der internationalen Kinderpornographie-Sache, wegen der er ständig durch die Gegend flog, und Eleonore Bitterle, die immer noch jedes Kleinzeug an sich riss und im Zweifel zu einer Angelegenheit der Further Kriminalpolizei machte.
    Die Straßen waren leer. Kovacs fuhr das Nordufer entlang nach Westen. Ab der Stadtgrenze trat er aufs Gas. An einem Donnerstag um halb vier Uhr früh schnarchten die Kollegen vom Verkehr, keine Frage. Auf der Ortseinfahrt von Waiern überholte er ein Moped, das in Schlangenlinien dahinzuckelte. Der Fahrer trug einen schwarzen Halbvisierhelm. Der Kleidung nach war es ein älterer Mann. Kovacs stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz der Schiffsanlegestelle ab. Eine Frühlingsnacht, die von zweifelhaften Gestalten bevölkert wird, dachte er, von einem jungen Türken unter Suchtmitteleinfluss, einem betrunkenen alten Mann und einem ungewaschenen Kriminalkommissar. Er blickte zum Himmel. Die alten Vertrauten: Deneb im Schwan, Atair im Adler und, beinahe im Zenit, Wega in der Leier. Schlafgestörte wie er konnten das Sommerdreieck schon im April sehen.
    Die Jollen waren über einen Karrenweg zu erreichen, der durch einen schütter bewachsenen Austreifen zu einer kleinen Bucht führte. Ketten hielten sie an einer niedrigen Betonmauer fest. Kovacs öffnete das Vorhängeschloss, holte sein Boot heran, warf Rutenetui, Kescher und Angelbox hinein und sprang nach. In dem Augenblick, in dem er die Riemen ausgelegt hatte und zum ersten Mal zog, begann er sich wohl zu fühlen.
    Es war windstill und der See lag glatt vor ihm wie ein Spiegel. Er ruderte zur Mitte hinaus, in Richtung der Lichter von Sankt Christoph. Im Osten konnte man die Dämmerung schon ahnen, ansonsten war es noch Nacht. Er knipste die Stirnlampe an, klappte die Kunststoffbox auf und kramte einen weißen Gummifisch mit goldenen Sprenkeln hervor. Er steckte die kürzere der beiden Ruten zusammen, schraubte die Multirolle fest und knotete den Köder an die Leine. Dann löste er die Rollenarretierung und warf aus. Alles war wie immer: das kurze scharfe Glucksen, mit dem der Bleikopf des Gummifisches die Wasseroberfläche durchschlug. Danach die Vorstellung, wie das Ding abtauchte, zielstrebig und energisch, in einer langen Schräge. Er zählte bis neun, dann legte er den Arretierungshebel um und begann bedächtig zu rudern. Andere zählten bis zehn oder dreizehn oder zwanzig; er hatte von Kindheit an eine Dreier-Magie in sich getragen; drei, neun, siebenundzwanzig, das waren seine Zahlen. Er bewegte das Boot erst nach Westen, etwa die Längsachse des Sees entlang, und hielt dann in einem weiten Bogen wieder auf das Nordufer zu. Die Räuber, Hechte, Zander und Saiblinge, waren am ehesten dort zu erwarten. Immer wieder prüfte er mit der Fingerkuppe die Spannung der Schnur. Alle paar hundert Meter holte er den Köder ein und warf neu aus.
    »Warum gehen Frauen nicht angeln?«, hatte er Marlene gefragt und sie hatte geantwortet, offenbar hänge das mit einem spezifisch männlichen Störungskomplex zusammen, außerdem tue sich eine Frau einfach nicht so leicht damit, ein Lebewesen mit einem Prügel zu erschlagen. Die Jagd habe mit Aggression und Angeln mit Sexualität zu tun, hatte er einmal gelesen, und das war zirka genauso schlau wie, dass das ganze Leben mit Sexualität zu tun hatte. In Wahrheit froren Frauen leicht und sprachen ununterbrochen; beides konnte man beim Angeln nicht brauchen. Marlene sagte er das nicht, vor allem, weil sie zuletzt sogar einen sauteuren Filetierkurs bei einer dieser Haubenköchinnen besucht hatte, nur seinetwegen.
    Es wurde kalt. Deswegen war ihm das Ganze vermutlich eingefallen. Der Himmel über Furth bekam einen zartgelben Stich, und in Ufernähe hatte sich eine handbreite Schicht Dunst auf das Wasser gelegt. Kein anderes Boot

Weitere Kostenlose Bücher