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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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die Dächer der Hotels, den Jachthafen zu den Zacken der Kammwand, die direkt über den Köpfen der Kärntner aufragten. Marlene hatte immer wieder versucht, ihn in die Berge zu schleppen. Er hatte sich mit dem Argument widersetzt, er sei im Sternbild Krebs, somit ein Wesen, das sich an Land äußerstenfalls im Rückwartsgang fortbewege, womit weder ihm noch ihr wirklich gedient sei. Mit dem Sternenhimmeltrick hatte sie es vor knapp einem Jahr dann doch geschafft, ein einziges Mal: Stell dir diese Schwärze vor und die Klarheit – kein Dunst, kein städtischer Lichtmüll, nicht ein Autoscheinwerfer. Sie waren dann nach einem dreieinhalbstündigen Fußmarsch auf zweitausend Metern vor der Paul-Preuß-Hütte gesessen, hatten gefroren und in einen bewölkten Nachthimmel gestarrt. Sie hatte ständig gesagt, so etwas sei leider nicht berechenbar, und er hatte einen Obstler nach dem anderen gekippt. Dabei wäre der Maihimmel durchaus ergiebig gewesen. Arcturus im Bootes, dieser eindrucksvolle Rote Riese, das Haar der Berenice oder Gamma Leonis, der Doppelstern, der die Schulter des Löwen bildete. Im Schlafraum des Schutzhauses hatte es nach Mäusepisse gerochen, daran konnte er sich erinnern.
    »Was soll das? Bestrafst du mich jetzt?«, fragte Kovacs, als Lefti eine Kanne Pfefferminztee und drei schmale Henkelgläser neben ihm abstellte. Seine Krisenzeit sei längst vorüber, sagte er, den Alkohol habe er im Griff und von zu viel Pfefferminztee bekomme man bekanntermaßen Ungeziefer im Magen, Läuse oder Helicobacter, wie das heutzutage heiße. Wenn das vorhin zu heftig gewesen sei, entschuldige er sich gerne, aber jetzt wolle er bitte ein Bier. Lefti goss Tee in die Gläser. Dann trat er zur Seite.
    Obwohl er Szarah seit vierzehn Jahren kannte, überlief Kovacs immer noch ein Schauder, wenn er sie irgendwo traf. Möglicherweise lag es an ihrer Figur, die etwas von einer jungen Pappel hatte oder von einer Zypresse, möglicherweise an ihrem schmalen, raubvogelartigen Gesicht, vielleicht auch an ihrem Haar, das sie immer hochgesteckt trug und dessen blauschwarzer Schimmer inzwischen vielfach grau durchwebt war. Möglicherweise lag es auch an ganz anderen Dingen; jedenfalls verschlug es Kovacs regelmäßig die Sprache, wenn sie in ihrer stillen, geschmeidigen Art auftauchte. »Salam aleikum, Kommissar«, sagte sie und schob vorsichtig ein dunkles Holztablett mit Silbergriffen zwischen die Teegläser. Auf ihm befanden sich mehrere weiße Porzellanschalen, die einen mit gelbem und rotem Pulver gefüllt, die anderen leer, ein kleiner geschwungener Hornlöffel und ein niedriger Stapel gefalteter Baumwolltücher. »Hallo, Szarah.« Kovacs verspürte das Bedürfnis, aufzustehen, sich zu verbeugen und ihr zu sagen, dass sie wie eine Fürstin aussah. Zugleich wusste er, dass das blöd war und er zu feige.
    Lefti reichte ihm ein Teeglas. »Trink, Kommissar«, sagte er. Kovacs wies auf das Tablett. Die Sache stimme also, bei einem marokkanischen Lokal könne es sich nur um einen Drogenumschlagplatz handeln, und was er da vor sich sehe, sei mit Sicherheit dieses neue Modezeug. »Cinn«, sagte Lefti, »Cinn im Tin, alle sagen so; daher stimmt es natürlich auch, Kommissar.«
    »Cinn im Tin. Und du nimmst Provision?«
    »Fünfzehn Prozent, wie jeder Agent, plus noch einmal fünfzehn Prozent Risikozuschlag.«
    »Wegen der Bandenkriegsgefahr?«
    »Nein, wegen der Polizeipräsenz.« Lefti nippte von seinem Tee. Er rauchte gelegentlich eine halbe Zigarre und nahm nach festlichen Mahlzeiten einen Anisschnaps; ansonsten hatte er mit Suchtmitteln nichts am Hut. Kovacs wusste das und er hatte den Sheriff angewiesen, dafür zu sorgen, dass das Tin sauber blieb. Dafür bekam der Sheriff ab und zu eine Portion Lammtajine samt einem freundlichen Blick von Lejla, Leftis ältester Tochter.
    Szarah rückte sich rechts neben Kovacs einen Stuhl zurecht, setzte sich, holte aus der Außentasche ihrer Leinenjacke eine Schere und begann vorsichtig, den Verband an seinem Unterarm zu öffnen. »Es hat mit diesem Florian Weghaupt zu tun«, sagte Kovacs. Zugleich fiel ihm nicht ein, wann ihn zuletzt jemand verbunden hatte. Vielleicht Yvonne, dachte er, seine Frau, aber er war nicht sicher. »Sie haben Köfte gegessen und Ajran getrunken«, sagte Lefti. »Wer – sie?«, fragte Kovacs und Lefti sagte, der junge Weghaupt mit seinen Freunden. Sie seien ausgesprochen höflich gewesen und hätten über Musik gesprochen. Kovacs sagte, in einem gewissen Alter

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