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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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begreiflich zu machen, dass es im Wartebereich der Ambulanz Platz nehmen solle. Die junge Frau lächelte. »You want me to wait here?«, sagte sie. Ich bin ein Trottel, dachte Horn.
    Auf dem Weg zu seinem Zimmer sah er die Polizistin mehrmals von der Seite an. Er wurde immer sicherer, dass es nicht diejenige war, mit der er telefoniert hatte. An der Tür blieb er stehen. »Wer stellt die Fragen?« »Sie«, sagte sie, »hier ist Ihr Reich. Wenn mir am Ende etwas abgeht, kann ich es ja sagen.«
    Er begann wie immer, wenn er es mit Kindern zu tun hatte. Er erzählte von den Aufgaben eines Psychiaters, davon, dass gewisse Dinge wirklich waren und andere nicht, und dass ein Mensch das üblicherweise auseinanderhalten konnte, ein Kind genauso wie ein Erwachsener. Er sprach über die Folgerichtigkeit des Denkens, darüber, dass Rechnen mit dem Körper zu tun hatte, zum Beispiel mit den Fingern, auch wenn die Lehrer das nicht so gernhatten, über Gefühle und über die Wichtigkeit, Freunde zu haben. Am Ende sprach er über Verletzungen, körperliche und seelische, über Angst und Bedrohung und darüber, wie es war, wenn einen die Traurigkeit gar nicht mehr verließ. Der Bub saß ihm gegenüber, schaute an seiner linken Schulter vorbei auf die Wand dahinter und schob die silberne Trinkflasche mit dem Drachen vor sich hin und her. Als Horn ihn fragte, ob er alles verstanden habe, nickte er. »Ich habe viele Freunde«, sagte er.
    »Viele?«, fragte Horn, »wie heißen sie?«
    Der Bub zuckte mit den Schultern.
    »Die haben doch Namen.«
    »Andreas.«
    »Und sonst?«
    Nichts. Ich hätte gern, dass es da zum Beispiel noch eine Iris gibt, dachte Horn, und einen Maximilian, und dass Andreas eine neue PlayStation besitzt und mit seinem Bruder manchmal World of Warcraft spielt, obwohl es die Eltern nicht so gerne sehen. Ich hätte gern, dass er mir all das erzählt, und zugleich sehe ich ihn dasitzen mit dem Starrsinn eines Siebenjährigen auf der Stirn und weiß, dass er nicht viel sagen wird.
    »Was ist schwarz?«, fragte er. Für eine Sekunde stieg eine Spur von Verblüffung ins Gesicht des Buben. Nach einer Weile tippte er mit der Fingerkuppe auf den Drachen. »Der da.«
    »Der da?«, fragte Horn.
    »Ja.«
    Mit einem Stachelschwanzdrachen als Begleiter wird jeder Siebenjährige unbesiegbar, dachte Horn. Er stellte sich vor, wie er es Leonie Wittmann erzählen und wie sie darauf lachen und kurz ihre großen Schneidezähne zeigen würde. Auf die Frage, was sonst noch schwarz sei, überlegte der Bub eine Weile und sagte dann: Batman, die Nacht und der Maybach. »Der was?«, fragte Horn.
    »Der Maybach, er ist riesig, mit Kalbsleder, echtem Holz und zwei Fernsehern, einem vorn und einem hinten.«
    »Mit Fernsehern?«
    »Ja, der hintere kommt aus dem Boden, wenn man auf einen Knopf drückt.«
    »Und was schaust du in diesem Fernseher?«
    Nichts, sagte der Bub, gar nichts, obwohl man sogar DVDs schauen könne. Nichts? Der Maybach sei nur für die Firma. Nur für die Firma! Der Bub betonte jedes Wort. Ein Auto, dachte Horn, eine Marke, von der ich noch nie gehört habe. Und man könne drin essen und trinken, es gebe Ausklapptischchen, Flaschenhalter und eine kleine Bestecklade. In meinem Volvo gibt es vier Kurbeln für die Seitenscheiben, dachte Horn, und wenn man eine Zeitlang nicht lüftet, stinkt es nach Schweißfüßen.
    »Etwas Schwarzes hat dich geschlagen, stimmt das?«, fragte er. »Ja«, sagte der Bub und blickte ihn direkt an.
    »Und, hast du Angst gehabt?«
    »Nein.«
    »Nein? War er groß?«
    »Ein bisschen.«
    »Was soll das heißen: ein bisschen?«
    »Nicht so groß wie Batman.«
    »So groß wie ich?«
    »Sag ich nicht.«
    »Warum nicht?« Der Bub senkte den Blick und klopfte mit dem Boden seiner Trinkflasche gegen die Schreibtischplatte. Horn schaute in Richtung der Polizistin. Sie saß auf einem Stuhl neben dem Fenster und schrieb in ein Notizbuch, das auf ihren Oberschenkeln lag. Sie ist richtig in ihrem Beruf, dachte Horn, sie besitzt die nötige Aufmerksamkeit, und wenn es der Sache dient, kann sie jemand anderem das Kommando überlassen. Die meisten Leute wussten, dass sie richtig waren in ihrem Beruf; diese Polizistin wusste es, Hrachovec und Lisbeth Schalk wussten es, Leonie Wittmann wusste es vermutlich auch, und vor allem wusste es Irene, seine Frau. Er selbst wusste es nicht. Er sprach mit niemandem darüber.
    »Jetzt fürchtest du dich vor ihm, oder?«, fragte Horn, »davor, dass er plötzlich wieder da ist

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