Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
Vom Netzwerk:
berichteten, der trotz ausgezeichneter Schulleistungen nicht auf dem Gymnasium geblieben war, sondern begonnen hatte, Maurer zu lernen, der mit seinem jüngeren Bruder bei den Eltern gelebt und noch nie eine Freundin gehabt hatte. Darüber hinaus beschrieb Demski verzweifelte Eltern, eine Schar verstörter Kollegen und eine insgesamt absolut ratlose Umgebung. »Wer bringt jemanden um, der mit keinem anderen streitet?«, fragte Kovacs. Lefti zupfte an seinem Unterlippenbart. »Jemand, der das gleiche Problem hat«, sagte er schließlich.
     
    Ludwig Kovacs ging in Richtung See, vorbei am Königreichsaal der Zeugen Jehovas, an der alten Schokoladenmanufaktur und an der städtischen Bücherei. Er roch den Frühling, spürte das Bier in seinem Kopf und wartete auf den Schmerz. Chili, hatte sie gesagt, Zimt, Kurkuma, Kreuzkümmel, Paprika, Bockshornklee und schwarzer Zwiebelsamen, außerdem hundert andere Zutaten, die keiner kannte: Es war völlig ausgeschlossen, dass das nicht wehtat. Er erinnerte sich an jenen Moment, als er als Sechsjähriger nach dem Sprung über einen Bruchsteinhaufen dagestanden war, auf die quer über sein Knie verlaufende Platzwunde geblickt und voller Spannung auf den Schmerz und auf das Blut gewartet hatte. Eine halbe Stunde später war er auf der Behandlungsliege vor dem weißhaarigen Hausarzt gesessen und hatte ihm dabei zugesehen, wie er mit seinen dicken Fingern eine dieser gebogenen Nadeln aus einem Metallbehälter geholt hatte. Er hatte ein wenig Schmerz verspürt und gar keine Angst, daran erinnerte er sich genau, ferner, dass der Nadelbehälter ausgesehen hatte wie eine Sardinendose. Seine Mutter hatte zu ihm gesagt, wenn er so weitermache, werde er früher oder später im Rollstuhl landen oder im Grab, aber er hatte damals schon gewusst, dass seine Mutter manchmal grobe Dinge sagte. Insgesamt waren Ludwig Kovacs in seinem Leben Verletzungen weitgehend erspart geblieben. Als Jugendlicher hatte er sich den Meniskus eingerissen und war danach operiert worden und einmal war bei der Durchsuchung einer Garage eine Waschbetonplatte umgekippt und hatte ihm zwei Mittelfußknochen gebrochen. Es war bei der Sache um den Diebstahl von Fernsehgeräten gegangen, das wusste er noch.
    Von einem elektronischen Werbeschirm an der Ecke zum Park des Fernkorn grinste ihn Konrad Seihs an, der frischgebackene Landtagsabgeordnete der Wirtschaftspartei. Kovacs wandte den Blick ab. Manche Menschen wollte er nicht sehen, nicht einmal auf Werbeflächen. Demski fragte ihn gelegentlich, warum er sich über das Arschgesicht so ereifere, und er sagte dann, er denke an seine Mitbewohner in der Walzwerksiedlung, daran, wie die Frauen das Kopftuch ablegten, bevor sie einkaufen gingen, und an den alten Yiledi√, der sich immer noch vor der Abschiebung fürchte, obwohl sein Asylantrag längst positiv beschieden sei. Außerdem seien ihm Menschen, die einen Kampfhund an ihrer Seite bräuchten, grundsätzlich zuwider. Eleonore Bitterle sagte, Kampfhundehalter seien wie Schusswaffenträger – von Kastrationsängsten geplagte Kerle, die meisten von ihnen hoffnungslos impotent, und Kovacs sagte darauf, da sei sie ja bei der Polizei genau richtig. Menschen, die sich erst stark fühlten, wenn andere sich schwach fühlten, mochte er nicht, ganz egal, ob sie impotent waren oder nicht.
    Er ging ein Stück die Promenade entlang. Knapp vor dem Strandbad setzte er sich auf die Mole und blickte auf den See hinaus. Der Wind war heftig geworden und der Dunst hatte sich verzogen. Weiter draußen begannen die Wellenkämme weiß aufzuschäumen. Kovacs dachte an sein Boot, an Marlenes Wasserscheu und an den Döbel von zuletzt. Er betrachtete den Verband an seinem Unterarm. Szarahs Hände fielen ihm ein, der feine Strahl dieses hellgelben Olivenöls und Köfte und Ajran. Er griff zum Telefon.
    Der Sheriff hob immer ab, sogar wenn er bei seiner Mutter zum Essen war. »Bismillah, Monsieur Erdoyan«, sagte Kovacs.
    »Mahlzeit, Kommissar. Was habe ich angestellt?«
    »Das Übliche. Du weißt, ich schreibe alles in das Heft mit den schwarzen Punkten. Zwei davon streiche ich aus, wenn du mir sagst, was dir zu einer Gruppe Jugendlicher einfällt, die im Tin regelmäßig Köfte und Ajran essen.«
    »Nur Köfte und Ajran? Dazu gehören gegrillte Auberginen.«
    Er sei weder Koch noch Internist, sagte Kovacs, daher habe er nicht vor, mit ihm über diätetische Spitzfindigkeiten zu diskutieren. Der junge Mann, der ihn interessiere, heiße Florian

Weitere Kostenlose Bücher