Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
Vom Netzwerk:
das Loch in einer der Verbindungsmuffen gesteckt worden sei, nicht gesehen. Das kantige Ende des Splints habe mit Leichtigkeit Pullover und Hemd durchbohrt und sei ihm ins Fleisch gedrungen wie ein Messer. »Messer? Na ja«, sagte Lefti. »Von mir aus: wie ein schlecht geschliffenes Messer«, brummte Kovacs. Er habe sich erst nur über die zerrissene Kleidung geärgert und tatsächlich noch ein paar Fotos gemacht, dann habe er vor sich auf den Planken die Blutstropfen gesehen. »Damit war die Sache klar«, sagte Lefti.
    »Ja. Damit war die Sache klar. Ich selbst war der Mörder und hatte keine andere Wahl, als mich augenblicklich der Polizei zu ergeben.«
    Szarah hatte in der Zwischenzeit einige Portionen von dem roten und gelben Pulver in eine Schale gelöffelt und goss aus der Tonflasche ein wenig Olivenöl dazu. In winzigen kreisenden Bewegungen rührte sie das Ganze mit dem Stiel des Hornlöffels zu einer ockerfarbenen Paste. Danach senkte sie den Rand eines der Baumwolltücher vorsichtig in Kovacs’ Wunde und wartete, bis die Flüssigkeit aufgesogen war. Mit den Kuppen ihrer Finger verteilte sie die Paste über dem gesamten Hautdefekt. Kovacs hatte die ganze Zeit über wortlos zugeschaut. Sie schenkt dir eine Art von Aufmerksamkeit, die dich einfach umhaut, dachte er. Lefti goss Tee nach. »Bei uns ist jede Ehefrau auch diplomierte Krankenschwester«, sagte er, »wir haben es gut, da hast du völlig recht.«
    »Ich habe aber gar nichts gesagt.«
    »Ich weiß, Kommissar.«
    Es ist eigenartig, dachte Kovacs, ihm gönne ich diese Frau. Den meisten anderen gönne ich ihre Frauen nicht; nicht einmal Yvonne gönne ich jemandem. Er fragte, was in dieser Paste drin sei, Szarah sagte, alles, was eine heilsame orientalische Gewürzmischung ausmache, er fragte: »Chili auch?«, und sie sagte: »Ja, Chili auch.« Sie schnitt eins der Tücher zurecht, bedeckte damit doppellagig die Wunde und fixierte es mit einer selbstklebenden Mullbinde, die sie aus ihrer Jackentasche zog. »Wieso habt ihr so etwas?«, fragte Kovacs. »Wer Kinder hat, hat auch Verbandsmull«, sagte Lefti.
    Während er aufs Essen wartete und ab und zu von seinem Bier trank, dachte Ludwig Kovacs über die Freundschaft nach, die ihn mit Lefti verband, über die Art von Sarkasmus, die ihnen gemeinsam war, darüber, dass sie nebeneinander schweigen konnten, und darüber, dass dieser marokkanische Wirt neben Marlene der einzige Mensch war, dem er ab und zu eine SMS schickte. Lefti beherrschte den gezügelten Genuss, und Kovacs bewunderte das. Er selbst war gut in Maßlosigkeit und Lefti verachtete ihn nicht dafür. Überhaupt war Leftis Beziehung zu den Menschen getragen von einem Respekt, den Kovacs meistens bewunderte und manchmal nicht verstand. Wenn zum Beispiel der Sohn von Martin Fürst, dem nationalistischen Landtagsabgeordneten, Leijla, mit der er in dieselbe Klasse ging, wieder einmal Haremsdame nannte oder stinkende Kameltreiberin, sagte Lefti zu seiner Tochter, sie solle sich vorstellen, wie sehr man sich für so einen Vater schämen müsse, anstatt dem Burschen in einem dunklen Winkel die Fresse zu polieren. Leftis Töchter liebten ihren Vater, obwohl er ein Weichei war. Kovacs war definitiv keins, und Charlotte hasste ihn unter Garantie. Er liebte sie auch nicht. Das machte die Sache wenigstens eindeutig.
    Föhniger Südwind hatte sich aufgemacht. Über dem See lag eine Dunstfahne, die nur den Fuß der Kammwand aussparte. Die Kärntner waren gegangen und das Baby der jungen Familie schlief tief und fest. Manchmal gab es rund um Ostern Tage, die sich anfühlten wie der Sommer.
    »Köfte und Ajran – bitte sehr. Sonst isst du doch immer die Tagestajine, Kommissar«, sagte Lefti. »Sonst klettere ich auch nicht erfolglos auf Baugerüste«, antwortete Kovacs und biss in eins der gebratenen Fleischbällchen. Ich versuche diesem jungen Mann auf die Spur zu kommen, indem ich das Gleiche esse wie er, dachte er – weit habe ich es gebracht. »Sie haben von Musik geredet«, sagte Lefti.
    »Wer?«
    »Dieser Weghaupt und seine Freunde.«
    »Woher weißt du immer, was ich denke?«
    »Köfte und Ajran – das war nicht schwer.« Nein, er könne sich nicht erinnern, um welche Art von Musik es gegangen sei, aber es habe sich so etwas wie eine Glocke von Ernsthaftigkeit über den jungen Leuten befunden. Eine Glocke von Ernsthaftigkeit, dachte Kovacs – das würde einem Österreicher nie einfallen. Er dachte an Demskis Protokolle, die von einem jungen Mann

Weitere Kostenlose Bücher