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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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gemacht haben. Irgendwann lässt es nach und jemand anderer kommt dran. Bei mir war es so. Die Vorstellungen beginnen erst nachher. Sie hören nie auf.
    Ich strecke mich und schaue durchs Fenster. Beide Autos sind weg. Das heißt, sie fährt eine ihrer Touren und er ist im Büro oder bei einem Kunden. Wohin ihre Touren führen, weiß niemand. Wenn sie sagt, sie fährt los, wird er nervös und versucht ihr die Autoschlüssel wegzunehmen. Sie sagt, er soll sich das gut überlegen, und er lässt es bleiben. Der Weg durch die Garage ist Fluchtweg Nummer vier. Er ist total einfach und funktioniert, weil sich das Garagentor von innen per Knopfdruck öffnen lässt. Von außen braucht man entweder den Funk oder man kennt den Code. Zwei Buchstaben, drei Ziffern.
    Auf dem Garagenboden sind die Spuren des X6 zu sehen, breit und lehmig. Der, den ich Bill nenne, fährt mit seinen Kunden manchmal ins Gelände, zum Beispiel in die Au zwischen Waiern und Mooshaim, wo früher Torf gestochen wurde. Dort schießen sie Hirschen oder einen Fischotter, wenn die gerade freigegeben sind. Der Mini der Verrückten hat keine Spuren hinterlassen.
    Switi setzt sich in ihr rotes Tretmobil und fährt in Schlangenlinien durch die Garage. Dabei schreit sie immer wieder laut auf. Als sie beginnt, in den Kurven absichtlich an der Wand anzustreifen, stoppe ich sie und hebe sie vom Auto. »Dafür bist du schon zu groß«, sage ich, »du musst Rad fahren lernen.« Sie schüttelt den Kopf.
    Wir gehen ins Haus und schauen im Erdgeschoß in alle Räume. Das tue ich immer, wenn sie nicht da sind. Im Vorzimmer blättere ich den Wandkalender um. Ein Dalmatiner mit zwei Kindern. In der Küche stehen die benützten Teller neben der Spüle. Ich räume sie in den Geschirrspüler, obwohl ich weiß, dass morgen Marika kommen wird. Ich kann herumstehendes Geschirr auf den Tod nicht ausstehen.
    Ich hole den Schlüssel, auf den es ankommt, aus der alten Zuckerdose hinter den Wassergläsern. Ein saublödes Versteck; jeder Trottel würde ihn dort finden. »Komm«, sage ich zu Switi, »gehen wir trainieren.« Sie schüttelt erneut den Kopf. »Du musst«, sage ich und ergreife ihre Hand.
    Wir steigen die Treppe hoch, wenden uns nach links und betreten das Schlafzimmer der beiden. Ich halte die Luft an und blicke zum Fenster und an die Decke. In der Garderobe gehen wir nach hinten bis an die kleine Türe zwischen den Schränken, die man nur sieht, wenn man sie kennt. Ich nehme das Bild mit dem Igel und der Eule von der Wand. Dahinter befindet sich das Schlüsselloch.
    Es sind drei Zimmer, das weiße, das gestreifte und das Blumenzimmer. Ich habe sie nach den Matratzen benannt, die in den Zimmern herumliegen. Genau genommen liegen im weißen Zimmer zwei weiße Matratzen und eine mit hellblauen Punkten, im gestreiften Zimmer eine riesige Doppelbettmatratze mit breiten blauen und schmalen gelben Streifen und im Blumenzimmer übereinandergestapelt vier Matratzen, die über und über voll sind mit pastellfarbenen Blüten. Die beiden Stative mit den Kameras stehen immer woanders, diesmal im weißen Zimmer.
    »Was willst du heute?«, frage ich. Sie sagt gar nichts. Ich sage: »Gestreift.«
    Sie liegt auf dem Bauch und ich erzähle ihr von dem Film in der gelben und roten Hülle, den ich entdeckt habe, davon, was Menschen alles passieren kann, und von dem Schlag mit den fünf Fingern, der das Herz zum Stillstand bringt. Zwischendurch drücke ich ihr Gesicht gegen die gestreifte Matratze und sage dabei, sie soll die Augen offen halten. Jedes Mal, wenn ich ihr in den Nacken greife, winselt sie wie ein Hund.
     

Neun
    Die Klasse riecht nach den Kindern, nach Julias Kraushaar, nach Stefans gewalkter Schafwollweste, nach Laras Hund und nach Manuels Schweißfüßen. Der Fliederstrauß, den sie am Vortag auf den Lehrertisch gestellt hat, setzt sich geruchsmäßig überhaupt nicht durch. Die Tafel ist unvollständig gelöscht, wie immer, wenn Sükrü Klassenordner ist. Auf dem rechten Flügel ist zu lesen: Der Mond wird von der Sonne zum Leuchten gebracht. Da Ostern mit dem Vollmond zu tun hat, hat sie versucht, den Kindern ein wenig Astronomie beizubringen. Was ist ein Fixstern, was ein Planet, warum leuchtet der Mond? Weil er einen total starken Stromanschluss hat, war Leonhards Hypothese, und Katrin hat gesagt: Wenn der Mond scheint, trauen sich die Verbrecher nicht auf die Straße.
    Etwas schnürt ihr die Kehle zu. Einerseits ist es der Satz an der Tafel, andererseits die

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