Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
Vom Netzwerk:
dem einen Arm auf Eleonore Bitterles Schulter gestützt und schwenkte mit dem anderen lässig ein Blatt Papier. »Was ist das?«, fragte Kovacs. »Ein Problem«, sagte sie.
    Stephan Szigeti habe sich durch die Einleitung der polizeilichen Ermittlungen offenbar nicht ausreichend entspannt, sondern sei am Vortag in der Schule des Sohnes aufgetaucht und habe dem Direktor gedroht, ihm den Landesschulrat und alles, was er sonst noch garantiert nicht brauche, an den Hals zu hetzen, wenn er nicht bald herausfinde, wer den Buben geschlagen habe. Der Direktor habe daraufhin gesagt, er, Szigeti, solle sich nicht so aufregen, sein Sohn sei schließlich nicht der Einzige, dem das passiert sei. Kovacs griff sich an die Schläfen. »Genau«, sagte Sabine Wieck. Szigeti habe eine elendslange E-Mail an Eyltz, den Polizeichef, an Steinböck, den Bürgermeister, und an Jelusitz, den Bezirkshauptmann, geschrieben. Nach seinem Sohn sei jetzt noch ein Kind aus der ersten Volksschulklasse Opfer unsäglicher Übergriffe geworden, ohne dass die Behörde einen Finger gerührt habe. Im Gegenteil, man habe seinen Sohn durch einen Psychiater vernehmen lassen, ganz so, als halte man in Wahrheit ihn für verrückt und nicht den perversen Gewaltverbrecher, der da sein Unwesen treibe. Die Polizei versage wie so oft; er sehe sich daher genötigt, zur Gründung eines privaten Schutzdienstes aufzurufen, der die Sicherheit der Kinder gewährleiste.
    »Eine Schutzstaffel«, sagte Kovacs. »Eine was?«, fragte Sabine Wieck. »Vergiss es«, sagte er.
    Die drei Adressaten seien maximal in Aufruhr, fuhr sie fort. Eyltz verlange Ergebnisse und wolle laufend informiert werden, Steinböck fürchte um den Fremdenverkehr und Jelusitz tippe bereits auf die Türken. »Die hauen sowieso jedes Kind, wie wir wissen. Mit Eyltz werde ich schon fertig«, sagte Kovacs.
    »Ich weiß nicht«, sagte Sabine Wieck, »da ist noch was.«
    »Außer dem zweiten Kind?«
    »Ja. Ein Cc.«
    »Ein was?«
    Szigeti habe das Schreiben Cc an die Redaktionen der relevanten Zeitungen und aller verfügbaren Radio- und Fernsehsender geschickt, zusätzlich habe er es an diversen Orten ins Netz gestellt.
    »Alle sollen es wissen, oder?«, fragte Kovacs. Er spürte, wie sehr er diese Cc- und Weiterleitungspsychopathen hasste, jene Art von Menschen, die eine diebische Lust daran hatten, unter dem Titel Informationsweitergabe Druck auf andere auszuüben. »Der KURIER hat schon angerufen«, sagte Sabine Wieck, »was sagen wir?« »Jeder, der sein Kind schlägt, ist verdächtig«, sagte Kovacs, »das sagen wir.«
     
    Britta Kern werde als zurückhaltend und selbständig beschrieben, typisch für ein Kind mit jüngeren Geschwistern, erzählte Sabine Wieck, als sie dann zu dritt im Besprechungsraum saßen. In ihrem Fall sei es die kleine Schwester, durch die die Aufmerksamkeit der Mutter gebunden werde. Sie befasse sich am liebsten mit dem Knüpfen von Armbändern und mit ihren Rosettenmeerschweinchen. In der Schule sei sie interessiert und weniger leicht ablenkbar als die meisten anderen Kinder. Die Mutter sei Büroangestellte bei einem Wirtschaftsprüfer, der Vater Leiter eines Baumarktes. Die beiden hätten sich in der Handelsschule kennengelernt.
    »Sie lebten bis an ihr Ende glücklich und zufrieden und wenn sie nicht gestorben sind …«, sagte Kovacs. Sabine Wieck hob abwehrend die Hände. Sie selbst könne erstens nichts für Idyllen dieser Art und zweitens hätten sich die Eltern vor zwei Jahren getrennt. Der Vater lebe jetzt in Zeltweg in der Obersteiermark.
    »Außerdem schlagen auch Handelsschulabsolventen mit Garten und Meerschweinchen ihre Kinder«, sagte Eleonore Bitterle.
    Kovacs schaute zum Fenster hinaus. Auf dem Dach gegenüber verfolgten einander zwei Bachstelzen. Ein Garten, Meerschweinchen und Kinder – die meisten Menschen wünschten sich so etwas. Dann stürzten die einen zu Tode und die anderen ruderten allein auf den See hinaus. Marlene fiel ihm ein, ihr Hang zu gemusterten Stoffen und Kerzen auf dem Tisch, und dass in ihrem Blick das meiste Glück war, wenn sie Wiesenblumen in eine Vase steckte. Sein Bruder fiel ihm ein, der sich versoff und immer wieder Frauen fand, die bei ihm blieben, obwohl er sie prügelte. Am Ende fiel ihm der gelbe Gürtel mit den Strasssteinchen ein und dass er davongelaufen war, bevor er das Preisschild entdeckt hatte. Im Grunde war der Preis auch egal.
     

Acht
    Die hellrote Linie läuft die Türstöcke entlang, immer im Abstand von vier

Weitere Kostenlose Bücher