Das Matrazenhaus
Zentimetern, rauf rüber runter, dann parallel zum Boden bis zur nächsten Tür, dann wieder rauf rüber runter. Die Fenster bleiben ausgespart; keiner weiß, warum. Die Maler haben es so gemacht, wie es ihnen aufgetragen wurde. Aus dem Zimmer führen drei Türen weg. Zwei davon sind Fluchtwege, die dritte führt in die Küche. Dort ist Schluss. Zwischen der Tür zur Küche und dem Schrank mit den Gläsern befindet sich ein kleiner grauer Fleck an der Wand. Er stammt von einer Speisemotte. Der, den ich jetzt Bill nenne, hat sie zerdrückt. Fast alle Wesen auf dieser Welt sind in irgendeiner Form nützlich. Bei Speisemotten ist das nicht so sicher.
Sie sitzt auf ihrem Stuhl und isst nichts. Wenn die Sache vorüber ist, verhält sie sich immer so. Sie reckt das Kinn nach vorne und presst mit geschlossenen Augen die Lippen aufeinander, bis sie um den Mund ganz weiß ist. Die Verrückte versucht ihr das gebratene Hühnerfleisch und die Kartoffeln schmackhaft zu machen. Sie hat etwas Singendes in der Stimme, wenn sie die Speisen lobt. Es nützt nichts. Wenn die Verrückte wütend wird, verfärbt sich ihre Haut gelb. Der Rest der Menschen sieht es vermutlich anders, aber für mich ist es das Gelb von Raps. Nicht von Zitrone oder Dotter, sondern von Raps. Die Verrückte spießt Hühnerfleischstücke und halbe Kartoffeln auf eine Gabel und geht damit auf Switis Gesicht los. Switi dreht sich erst weg, nach links und rechts, hin und her. Als das nichts nützt, beginnt sie um sich zu schlagen. Die Verrückte schlägt auch um sich. Die Gabel fährt Switis Unterlippe entlang, von einem Mundwinkel zum anderen. Die Verrückte brüllt, sie schaffe das nicht allein. Der, den ich Bill nenne, hat sein Hühnerfleisch schon gegessen. Er steht auf, tritt hinter Switis Stuhl und sagt ganz ruhig: Ein Kind muss essen. Von hinten umfasst er mit dem linken Arm Switis Schultern und Oberarme und greift mit der rechten Hand an ihren Unterkiefer wie mit einer Zange. Er drückt nur ganz leicht zu und Switis Mund springt auf wie der von einem Nussknacker. »Gekonnt ist gekonnt«, sagt er. Die Gabel wandert rein und raus. Switi schluckt brav. Manchmal muss sie würgen. Als der Teller leer ist, sagt der, den ich Bill nenne: »Na siehst du, war doch nicht so schlimm.« Die Verrückte sagt gar nichts. Ihre Haut ist jetzt wieder rosig.
Als ich ins Zimmer komme, liegt Switi eingerollt vor ihrem Bett auf dem Boden und schläft. Das lernt man mit der Zeit: von einer Sekunde auf die andere einzuschlafen, wenn man es braucht. Ich hocke mich neben sie und betrachte die feinen Härchen auf ihrer Wange und den winzigen Knubbel im Rand ihrer Ohrmuschel. Vor ihrem Mund liegt etwas auf dem Boden. Es hat die Größe eines Bonbons und ist hellgrün. Ich hebe das Ding vorsichtig auf und betrachte es. Es ist eine Art Kieselstein, flach und glatt. Switi schlägt die Augen auf. »Manka«, sagt sie, nimmt mir das Ding aus der Hand und steckt es sich wieder in den Mund.
Ich helfe ihr in die Steppjacke mit den Pinguinen und binde ihre Schuhbänder. Das mit der frischen Luft ist zwar ein Spruch alter Leute, aber manchmal braucht man sie wirklich. Wir gehen unsere Runde: in Richtung See bis zur Abzweigung in die Klamm, nach vorne zum Aussichtspunkt oberhalb des Wasserfalls, zurück, am Eulenfelsen vorbei zum Jachthafen. Auf dem Bootssteg liegt Reif. Wir gehen trotzdem bis zu seinem Ende. Ich blicke zurück auf unsere Fußspuren und erzähle die Geschichte eines kleinen Pelikans, der von den Menschen gefangen gehalten wird und eines Tages beginnt, in seinem Kehlsack Gegenstände zu sammeln: ein Messer, eine Zange, ein paar Feuerzeuge, eine Packung Zigaretten, eine Feile, eine winzige Kamera. Mit Hilfe dieser Dinge gelingt ihm schließlich die Flucht. »Wie fängt man Pelikane?«, fragt Switi. Sie zeichnet mit der Fußspitze eine Wellenlinie in den Reifbelag. »Ganz normal«, sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt.
Der Jachthafen ist beinahe leer. Die Leute haben ihre Boote in großen Hallen auf dem Trockenen liegen, zum Beispiel in Waiern wie wir. Dort werden sie gewaschen, gebürstet und die Fugen frisch gekittet. Draußen fährt ein einzelnes Elektroboot langsam in Richtung Sankt Christoph, wahrscheinlich jemand von den Biologen, der Entenfamilien beobachtet oder Wasserflöhe. Switi starrt auf ihre Finger. »Hättest du Handschuhe gebraucht?«, frage ich. Sie schüttelt den Kopf und sagt nichts.
Ich glaube, sie machen mit ihr all die Dinge, die sie mit mir auch
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