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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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jedenfalls wohlauf, außerdem werde Gabriele demnächst von der Arbeit kommen und sich ein wenig um ihn kümmern.
    »Kümmern? Um Tobias?!«
    Ja, kümmern, das habe er sichtlich notwendig, und nein, er habe weder einen Unfall gehabt, noch sei er von der Polizei erwischt worden. Achtzig, er sei in Summe etwa achtzig Kilometer gefahren. Ja, ein kurzes Stück auch Autobahn. Nein, er wolle jetzt nicht mit den Eltern sprechen.
    »Ist er bekifft?«, fragte Horn. »Entschuldige, aber spinnst du?!«, sagte Michael. Horn schaute zu Irene, als sei sie für die Antwort zuständig. Sie saß da und weinte. Zwei Brüder, dachte Horn, nur diese beiden Worte. »Entschuldige«, sagte er, »aber darf ich dich noch etwas fragen? Hast du ihm das Autofahren beigebracht?«
    »Wer sonst?«, sagte Michael.
     

Fünfzehn
    Um zwei Uhr nachts war im April Sommer. Ludwig Kovacs stand auf dem Flachdach, den Kopf im Nacken. Corona Borealis befand sich im Zenit, unmittelbar westlich davon der rote Arcturus, im Osten das Sommerdreieck: Deneb im Schwan, Wega in der Leier und Atair im Adler. Auf den Himmel ist Verlass, dachte er, alles steht zur rechten Zeit am rechten Ort. Er legte sein Auge ans Okular des Fernrohrs und schwenkte auf Albireo, den Kopf des Schwans, einen Doppelstern, von dem der eine Partner orange, der andere blau strahlte. Nördlich von Deneb fand er Lacerta, die kleine Eidechse, ein Sternbild, das nur bei wirklich guten Bedingungen auszumachen war. Er freute sich und fror. Im Sommer holte er sich manchmal Matratze und Decke aufs Dach und nächtigte im Freien. Marlene hatte er noch nie dazu bewegen können. Jetzt lag sie wohl in diesem seltsamen Futonbett in ihrer Wohnung und schlief. Die erste Nacht solle Charlotte allein mit ihm sein, hatte sie gesagt, und niemand in ihrer Nähe, der einer Stiefmutter ähnle. Sie sei doch keine Stiefmutter, hatte er gesagt und sie hatte geantwortet: Doch, eine Art von. »Ich hätte dich aber trotzdem gerne hier«, hatte er gebettelt und sie hatte gesagt: »Du bist so ein feiger Vater.« Nun war er tatsächlich mit seiner Tochter allein in der Wohnung, fühlte sich unsicher und bedrängt und schaute in die Sterne. Von Schlaf war keine Rede.
    Er dachte an Marlene, an die beiden Haarwirbel in ihrem Nacken, die er vor der Nase hatte, wenn er sich von hinten an sie legte, an ihre Leidenschaft für altes Zeug und an die Anflüge von Eifersucht, die ihn manchmal überfielen. In Wahrheit hätte ich sie gern als Mutter und nicht als Stiefmutter meiner Tochter, dachte er, aber das ist ungefähr so kitschig wie die pausbäckigen Porzellanfiguren in ihrem Geschäft. Er dachte an die Dinge, die sie aus ihrer Ehe erzählt hatte, über die Spielsucht ihres Mannes, über seine Untreue und über seine Verzweiflungsanfälle. Sie hatte Verständnis aufgebracht, gebürgt und gezahlt und er war am Nachmittag in die Spielerberatung gegangen und am Abend ins Kasino. Letztlich hatten sie sich scheiden lassen, sie hatte vierzigtausend Euro Schulden mitgenommen und er war kurze Zeit später von einem Tag auf den anderen verschwunden, einfach so, Adressat verzogen, die Nummer, die Sie gewählt haben, ist ungültig. Sie hatte sich geschworen, nie wieder einen Mann an sich heranzulassen, und das Ganze auch zwei Jahre lang durchgehalten. Dann war dieser Einbruch passiert.
    Am Geschäftsportal war keine Spur von Gewalt sichtbar gewesen, nicht einmal ein Kratzer. Die Täter hatten ein Renaissanceschränkchen mit Alabasterintarsien mitgenommen und den kleinen Safe aus der Wand gestemmt, der im Büro hinter dem Schreibtisch eingemauert gewesen war. In ihm hatten sich ein paar Armbanduhren und Schmuckstücke befunden, die aus Verlassenschaften stammten und von den Erben in Kommission zum Verkauf gegeben worden waren. Marlene war im Kreis durchs Geschäft gerannt, wieder und wieder, daran konnte er sich erinnern, und hatte in einem fort gesagt: »Ich bringe ihn um. Ich bringe ihn um.« Er hatte eine Weile fotografiert und Notizen gemacht, Mauritz verständigt und ihr schließlich vom Café schräg gegenüber einen großen Mokka mit Schlagobershaube gebracht. Sie hatte ihn aus großen Augen angeblickt und er hatte gesagt: »Starker Kaffee ist gut, wenn einem jemand eine geknallt hat, und Schlagobers ist sowieso gut.« Plötzlich hatte sie gelacht und sich hingesetzt, um mit ihm die Fakten aufzunehmen. Zwei Tage später hatte er gewusst, dass sie am liebsten bunte Unterwäsche trug und wie es sich anfühlte, wenn sie ihm zwischen

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