Das Matrazenhaus
April beige Kostüme mit knielangen Röcken und Riemchensandalen trug und ab Oktober graue Hosenanzüge; er hatte aber nichts gesagt.
Wer schlägt siebenjährige Kinder?, dachte er – Väter, die beim Pinkeln die Klotür offen lassen. Er nahm den ersten Schluck Pfefferminztee und verbrühte sich die Zungenspitze. Das war normal.
»Du solltest dir etwas Bequemeres ins Büro stellen.« Ein grauhaariger Engel weckt mich, dachte Ludwig Kovacs und achtete darauf, sich nicht zu bewegen – antrazithfarbener Rollkragenpullover, ein schmales Gesicht voller Klugheit und Güte und eine Hand, die sich auf meine Schulter legt und den Schmerz, der gleich kommen wird, hinweghebt. »Das tut ja beim Zuschauen weh«, sagte Eleonore Bitterle, »– wie du dasitzt.« »Dann schau weg«, sagte Kovacs, stützte sich auf die Armlehnen seines Drehstuhls und hievte sich langsam in die Senkrechte. »Bist du die Erste?«, fragte er.
»Ja, aber die anderen werden gleich da sein. Was ist das? Ein Beweismittel?« Sie deutete auf den Schreibtisch.
»Ja, für meine Ahnungslosigkeit.« Es sei ein Geschenk, das er nun doch nicht überreichen werde. »Für Marlene? Tut mir leid. Ich meine, es geht mich nichts an …«, sagte Eleonore Bitterle.
»Ist schon gut. Es ist auch nicht für Marlene.«
»Sondern?«
»Für Charlotte.«
»Für deine Kartoffelsacktochter?«
Genau. Seine Kartoffelsacktochter habe nämlich seit neuestem eine knallgrüne Irokesenfrisur, zu der ein sonnengelber Gürtel beim besten Willen nicht passe, mit oder ohne Strassbesatz. Da habe er recht, sagte sie, »hat sie ein Foto geschickt?«
»Ja, hat sie.«
»Hast du’s bei dir?«
»Nein«, sagte Kovacs. Warum lüge ich?, fragte er sich.
Sabine Wieck und Florian Lipp trafen gemeinsam ein, kurze Zeit später kam Mauritz mit dem Frühstücksgebäck. Er summte die ganze Zeit. »Guten Sex gehabt?«, fragte Wieck. Mauritz lachte. »Nein«, sagte er, »ich meine, schon auch, aber Nikolaus hat sein erstes Wort gesprochen: Papa.« »Mit zehn Monaten? – Na sicher!« Sabine Wieck tippte sich an die Stirn. Mauritz schaute beleidigt. Lipp klopfte ihm auf die Schulter. »Sie verstehen uns einfach nicht – merkst du’s? Und mit zehn Monaten fängt das an.« »Ihr könnt ja Elisabeth fragen«, sagte Mauritz. Sabine Wieck grinste. »Bezüglich Sex oder Papa ?« Mauritz warf einen Schuh nach ihr.
Sie begannen mit der Bestandsaufnahme, während sie Kaffee tranken und Nussschnecken aßen. Lipp fühlte sich sichtlich wohl. Bei den Uniformierten gab es keine Nussschnecken zum Frühstück, außerdem konnte er dort nicht neben Sabine Wieck sitzen. Wie ein Pubertierender, dachte Kovacs, die abgebissenen schwarzen Haare, die Pickelnarben und die Art, wie er strahlt und zugleich nervös herumzuckt, wenn er sie anspricht. Lipp war vierundzwanzig, Badmintonspieler und offenbar doch nicht schwul, wie Kovacs vor einem Jahr noch gewettet hätte.
Was wir haben , schrieb Kovacs auf das Whiteboard und setzte sich. »Einen siamesischen Ringelwels«, sagte Mauritz mit vollem Mund. »Einen was?«, fragte Sabine Wieck. Mauritz winkte ab. »Später«, sagte er.
Eine Art Alarmzustand in der Bevölkerung, begann Eleonore Bitterle, Hysterie in den Medien und taktische Überlegungen bei den Politikern, hauptsächlich aber drei Kinder, die nach dem gleichen Muster geschlagen worden seien, zwei Siebenjährige, ein Achtjähriger, ein Mädchen, zwei Buben. Alle gingen in dieselbe Volksschule, die beiden Siebenjährigen in eine Klasse. Dem ersten, Felix Szigeti, sei es mitten am Vormittag passiert, genauer zwischen zehn Uhr vierzig und elf Uhr fünfundzwanzig, während des katholischen Religionsunterrichtes, an dem er nicht teilnehme. Britta Kern und Sen Wu seien jeweils nach dem Unterricht überfallen worden, Britta an einem Freitag zwischen halb zwölf und halb eins, Sen Wu am Dienstag darauf zwischen halb eins und halb zwei, vermutlich beide auf dem Heimweg von der Schule.
Warum sie von einem Überfall spreche, fragte Florian Lipp dazwischen. Wovon sonst, sagte Eleonore Bitterle. Man habe den Kindern ja nichts weggenommen, sagte Lipp und Bitterle antwortete, das sehe sie anders.
Das Schema der Schläge sei gleich: Rücken, Schulter, Kopf, als Schlaginstrument kämen die Hand und ein Bambusstock in Frage. Die Wucht der Schläge scheine nicht allzu hoch zu sein. Die Verletzung Sen Wus sei vermutlich nicht beabsichtigt gewesen; von seiner Krankheit hätten nur die Familie, seine Ärzte und die
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