Das Maya-Ritual
Gälisch zum Besten. Dann begann er, mich nach dessen schriftlicher Form zu fragen, und ich sagte, erst, als es in den Klöstern übertragen wurde, sei aus der rein mündlichen Form auch eine schriftliche entstanden. Er meinte, wenigstens hätten die christlichen Mönche für die keltische Kultur etwas Nützliches geleistet. Hier hätten sie die alten Mayabücher verbrannt.«
»Und er scheint immer noch verbittert darüber zu sein.« Ich schaute in die Richtung der beiden Männer an der Bar, aber sie waren nicht mehr da. Auch bei der Tür war nichts von ihnen zu sehen, nur die Rückenansicht von einem Begleiter Zorros, der eben hinausging.
»Ich kann es ihm nicht verübeln. Er sagte, von den vier verbliebenen Büchern ihrer gesamten Kultur befänden sich drei in Europa und eines in den Vereinigten Staaten. Nicht einmal dieses Vermächtnis können sie ihr Eigen nennen.«
»Was für ein Buch hatten sie dann in der Prozession dabei?«
»Einen heiligen Mayatext, aber nach der Eroberung in Spanisch verfasst. Diese Bruderschaft, in der er ist, bewahrt ein paar davon auf.«
Die Band begann wieder zu spielen. Ich wandte den Kopf und sah Zorro persönlich auf uns zukommen.
»Ich bin jedenfalls froh, dass du mit einem echten Maya sprechen konntest«, sagte ich. »Damit kannst du Alfredo beeindrucken… Andererseits, vergiss es… er ist schon beeindruckt genug von dir.«
»Ach, komm, Jessica, du klingst ja richtig eifersüchtig.«
»Ich? Eifersüchtig auf dich?«, sagte ich mit einem Blick über ihre Schulter. »Nicht wenn ich die Sorte Männer sehe, die du in Wirklichkeit anziehst.«
»Was?« Deirdre fuhr herum, und im gleichen Moment traf Zorro an unserem Tisch ein.
»Meine schönen Damen«, legte er los, und sein Charme war so ölig wie sein Haar, »Sie erinnern mich an die beiden wunderbaren Abba-Sängerinnen, die ich als Junge so liebte. Aber welche war meine Favoritin? Das müssen Sie erraten. Der Preis geht natürlich an die Siegerin.« Er sah sich nach seinen Kumpels um und blinzelte, dann stieß er sein Becken anzüglich nach vorn.
Deirdre sah mich an. Ich sah Deirdre an. Die Situation war nicht neu.
Zorro wartete, lüstern grinsend.
Deirdre und ich umarmten uns und küssten uns auf den Mund.
Zorros lüsterner Blick verwandelte sich in ein Zähnefletschen. »Verfluchte Gringa lesben«, knurrte er und stürmte unter dem höhnischen Gejohle seiner Freunde davon.
20
Zorro und seine Kumpane gingen kurz darauf, was wie ein Stichwort für Deirdre wirkte, denn sie tanzte den ganzen restlichen Abend mit zahlreichen Männern, die sie aufforderten. Ich selbst drehte ebenfalls ein paar Runden auf dem Parkett, mit Männern, die nicht viel zu sagen hatten - aus meiner Sicht kein Problem, denn ich wollte ohnehin nur die Musik genießen. Aber für jeden Durchgang, den ich tanzte, tanzte Deirdre zwei. Sie war in einer Weise ausgelassen und hemmungslos, die Aufmerksamkeit erregte. Gegen zwei Uhr morgens wurde sie jedoch ziemlich betrunken, und als ich einmal gerade auf der Toilette war, erstarrte ich, denn ich hörte eine verzerrte Ankündigung über die PA draußen, dass nun eine Gastsängerin aus Irland auf die Bühne kommen würde. Ich rührte mich nicht vom Fleck, da ich sonst sehr wahrscheinlich zu einem Duett von Fernando nach oben geschleift worden wäre. Dann folgte elektrisch verstärktes Gemurmel, als Deirdre der Band erklärte, was sie singen wollte. Es begann unschlüssig, entwickelte sich dann aber zur Reggaeversion einer Ballade namens The Spanish Lady, die Deirdre wohl irgendwie passend erschienen war.
As I roved out through Dublin City At the hour of twelve at night Who should I see but a Spanish Lady Washing her feet by candlelight…
Ich wartete, bis der Song fortgeschritten war, dann ging ich an unseren Tisch zurück und stimmte jedes Mal in das »Tooraladdy« des Refrains mit ein. Während der letzten Strophe ging ich vor zur Bühne und fing Deirdres Blick ein.
As I roved out through Dublin City When the sun began to set Who should I see but a Spanish Lady Catching a moth in a golden riet…
Ich blinzelte ihr zu, um anzuzeigen, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen. Ihre Stimme wurde allmählich rau und unmelodisch. Als sie zu Ende gesungen hatte, gab es lediglich höflichen Applaus, wofür ich dankbar war - bei nur ein wenig mehr Begeisterung hätte sie vermutlich mit einem neuen Lied losgelegt. Und ich irrte mich nicht. Auf dem Weg nach draußen begann sie, ein rührseliges, patriotisches
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