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Das Maya-Ritual

Das Maya-Ritual

Titel: Das Maya-Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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Zuschauermengen. Irgendwann überquerten wir eine Kreuzung, die höher lag als der Platz, und konnten ihn über die Köpfe der Menge hinweg gerade so überblicken.
    Wir sahen für einen Moment, wie die Statue des heiligen Michael auf ihrer Bahre getragen wurde, sie schwankte auf den Schultern einer Gruppe von Männern, die sie von der Ladefläche eines niedrigen LKWs gehoben hatten, wie ein Boot auf See. Dann entschwand sie in Richtung der katholischen Kirche unseren Blicken, und wir wollten uns gerade wieder auf den Weg machen, als mich Deirdre zurückhielt.
    »Schau«, sagte sie, mit einem gewissen Maß an Ehrfurcht in der Stimme.
    Sie zeigte auf eine der Gruppen, aus denen sich die Prozession hinter der Statue zusammensetzte. Langsam tauchten sie in Viererreihen aus einem Weihrauchnebel auf, der von den kleinen Fässern aufstieg, die wie synchrone Pendel von den vorneweg Marschierenden geschwenkt wurden. Die Gruppe zählte etwa vierzig Männer und Frauen, die Frauen in huipils, die Männer in schwarzen Hosen und weißen Guayaberahemden, und alle hielten sie ein Holzkreuz auf Brusthöhe.
    Als sich dieser Abschnitt der Prozession über den Platz schlängelte, senkte sich respektvolle Stille über die Cozumelenos, die sich schon frühzeitig in Massen zu den Feierlichkeiten auf der Plaza versammelt hatten. Und dann bemerkten wir in der Mitte der Gruppe einen Mann mit langen, ungekämmten Haaren, er trug ein Gewand, das eher an eine Decke erinnerte, und hielt einen federgeschmückten Stab in der Hand. Unmittelbar hinter ihm trug eine Person, deren Gesicht ich nicht sah, ein offenes Buch, das augenscheinlich Gegenstand großer Verehrung war. Sechs mit Skimützen vermummte Paramilitärs flankierten diese beiden. Sie hielten Automatikgewehre steif von sich gestreckt, und bei wenigstens zweien von ihnen erkannte ich leuchtend rot lackierte Fingernägel.
    »Muss irgendeine politische Organisation sein«, sagte ich im Weitergehen.
    »Eindrucksvoll«, bemerkte Deirdre und riss sich von dem Anblick los.
    Nachdem wir um eine Ecke gebogen und noch eine Straße entlanggegangen waren, kamen wir zu dem Jazzlokal. Rechts vom Eingang gab es eine kleine Bühne, auf der bereits Instrumente aufgebaut waren. Links war eine winzige Tanzfläche, dahinter standen auf einer erhöhten Ebene einige niedrige Hocker und Tische. Noch einmal eine Stufe höher reihten sich weitere Tische vor einer Bank, die sich an der Wand entlang erstreckte.
    Weiter unten rechts befand sich die Bar, sie setzte sich bis auf eine Terrasse auf der Rückseite des Gebäudes fort, wo es noch mehr Sitzgelegenheiten gab. Nur wenige Gäste verteilten sich über das Lokal.
    »Lass uns auf der Terrasse etwas trinken«, sagte ich.
    »Wir können wieder nach drinnen gehen, wenn die Musik anfängt.«
    Deirdre war einverstanden, und wir machten uns zum rückwärtigen Teil der Bar auf und bestellten unterwegs unsere Margaritas. Draußen befanden sich mehr Leute, als wir dachten - sie hatten sich dort versammelt, um das Feuerwerk zu beobachten, das inzwischen offenbar zu Ende war. Aber die Nacht war warm, und eine Blaskapelle, die in einer nahen Straße spielte, verbreitete eine festliche Stimmung und ermunterte die Leute dazu, an ihren Tischen zu bleiben.
    »Auf welche Geschichte geht die Fiesta zurück?«, fragte Deirdre.
    »Vor etwa hundert Jahren haben einige Arbeiter auf der Nordseite der Insel die Statue ausgegraben, die du gesehen hast - sie stellt den Erzengel Michael dar. Offenbar wurde sie aus Elfenbein geschnitzt, das Schwert und die Krone sind massives Gold, und man nimmt an, dass sie mit den Konquistadoren aus Europa kam. Steht alles in meinem Kalender.«
    Deirdre lächelte. »Die Mexikaner feiern gerne, stimmt’s? Selbst wenn der Anlass mit ihren Eroberern zu tun hat. Ich wünschte, wir hätten manchmal eine so reife Einstellung, was die Briten angeht.«
    Ich dachte daran, die republikanisch gefärbten Gedanken zu erwähnen, die sie vorhin gegenüber Alfredo zum Ausdruck gebracht hatte, ließ es aber. »Das stimmt. Im Mai gibt es ein anderes Fest, mit dem sie die erste katholische Messe feiern, die in ganz Amerika gelesen wurde, und zwar auf Cozumel: Es findet in dem einzigen anderen Ort auf der Insel statt, einem Dorf namens El Cedral. Aus irgendeinem Grund werden bei diesem Fest auch Stierkämpfe veranstaltet.«
    »Igitt, Stierkampf. Wie schrecklich.«
    In diesem Augenblick kam mir das entführte Basketballteam in den Sinn. Ich überlegte, ob es schon neue

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